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Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Titel: Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert
Autoren: Uwe Hinrichs
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überhaupt schon immer ein vielsprachiges Land gewesen. Da beweise einer das Gegenteil! Der PC-Zeitgenosse reklamiert für sich immer eine besondere Art von insight , die es missionarisch zu verbreiten gilt – so, als ob er ein Sonderrecht auf tiefere Erkenntnis erworben hätte. Ob Linguist, Kulturschaffender oder bewegter Laie – er ordnet sich gern in den herrschenden Zeitgeist ein und gibt ihn aus als einen ethisch-moralischen Wert an sich. Diese Attitüde gilt in Deutschland als progressiv . Sie hat auch dafür gesorgt, dass exotische Sprechweisen von migrantischen Randgruppen in der Forschung bis heute eine unkritische Priorität genießen, was dann unweigerlich auf Kosten des allgemeinen Migrantendeutsch wie auch der gesprochenen Standardsprache gehen muss.
    Beide Haltungen sind letztlich ideologisch, unfrei, auf dem Sprachenauge oft seltsam blind und behindern die Aufklärung, auf die die Bevölkerung, ob nun migrantisch oder nicht, einen Anspruch hat. In Deutschland scheinen sich beide Standpunkte obendrein vollkommen unversöhnlich gegenüberzustehen, was für sich schon ein erstaunliches Faktum ist. Was hier zuallererst nottut, das ist Klarheit darüber zu schaffen, was vor sich geht, warum es vor sich geht und wie das genau geschieht.
    In der nahen Zukunft werden sich die bereits eingetretenen Veränderungen im Deutschen weiter ausbauen und Einzug in die Schulen halten. So wird es z.B. mit dem Muster ‹ mit diesen Problem/nach diesen Ergebnis/von meinen Nachbar › sein, mit den neuen ‹schwachen› Formen dem Bär_, dem Präsident_ oder mit der neuen Steigerung mit mehr : mehr zugänglich . Nach einer gewissen Verzögerung werden solche Veränderungen auch in das schriftliche Deutsch der Medien und der Literatur wandern und irgendwann in der Zukunft werden sie – als letzter Schritt – von der Grammatik kodifiziert. Währenddessen werden weitere neue, heute noch unbekannte Züge Einzug in den mündlichen Sprachgebrauch halten. Es ist und bleibt eine zentrale Aufgabe der deutschen Linguistik – eventuell mit einem Blick auf Nachbarländer und Nachbarsprachen –, diese aktuellen Prozesse des Wandels und der allmählichen Standardisierung zu verfolgen, zu beschreiben und zu deuten.
Was ändert sich?
    Es ändert sich vor allem die gesprochene Sprache, die mündliche Existenzform des Deutschen, genauer: die spontan gesprochene Umgangssprache in ungezwungenen Situationen, und hier besonders jene Ausdrucksformen, die durch den Kontakt und unter dem Einfluss von mehrsprachigen Sprechern im Alltag zustande kommen. Dieses im Prinzip mehrsprachig-fundierte Alltagsdeutsch ist der Fokus, das Milieu, das Epizentrum, in dem die Veränderungen entstehen, durch ständigen Gebrauch stabilisiert werden und sich dann immer weiter verbreiten. Von hier aus gehen die neuen Formen ins Volk, hier werden sie über die Normierungsfunktionen von Talkshows, Internet und Radio auf die Straße getragen und erzeugen subtile Veränderungen der Sprechnorm einer Sprachgemeinschaft, in diesem Falle der deutschen. Es ändert sich nicht (allenfalls im Schneckentempo): die geschriebene Form der Standardsprache, wie sie uns in den Druckmedien, in der Literatur oder im Schulunterricht entgegentritt. Das Schreibdeutsch mit seiner Bewusstheit, mit seiner Distanz von Schreiber und Leser, mit seiner langen Tradition als Sprache der ‹Dichter und Denker› ist zu träge, um Veränderungen sofort wiederzugeben, deren Produktion ja vor allem mündlich und unbewusst vor sich geht. Man achte aber auf bereits regelmäßige ‹Fehler› in jeder Zeitung, die als subtile Spuren die Norm der Sprechsprache wiedergeben, die sich schon nicht (mehr) mit dem schriftlichen Gebrauch deckt.
    Dazu ein typisches Beispiel: Wir haben heute bereits eine vollkommene Spaltung zwischen Präpositionen, die im Schreibdeutsch mit dem Dativ stehen, im mündlichen Gebrauch[ 4 ] aber durch die Bank mit einer anderen Form stehen: Oft haben wir z.B.
    schriftlich: Er befindet sich unter d em Verdacht der Veruntreuung.
    mündlich aber: Er befindet sich unter d en Verdacht der Veruntreuung.
    Ãœberschreiten diese ‹Fehler› ein übliches Maß und stoßen an eine kritische Grenze, ist dies ein untrügliches Zeichen dafür, dass sich neue Formen im mündlichen Gebrauch bereits weitgehend verfestigt haben und irgendwann den nächsten
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