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Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Titel: Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert
Autoren: Uwe Hinrichs
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Laien, von Deutschen wie Migranten, falsch einstellt. Ich komme darauf zurück.
    Das Menetekel, das eigentliche Motiv für die generelle Zurückhaltung der Linguisten gegenüber den Migrantensprachen ist aber wohl eine reale oder phantasierte Scheu davor, dass man durch die allzu genaue Analyse von Sprachkontakten und Sprachkonflikten in Deutschland unversehens in eine Diskriminierungsfalle geraten könnte. Es droht das gefürchtete Stigma der Ausländerfeindlichkeit, der Hauch des Ewiggestrigen, ja der politischen Rechtslastigkeit. Hier ist die Empfindlichkeit in Deutschland deutlich größer als anderswo, und der Faktor der Political Correctness tut ein Übriges. Ein zweiter Grund könnte darin liegen, dass an der neuen deutschen Sprachsituation zu viele exotische Sprachen beteiligt sind, Fachleute wie Laien hoffnungslos überfordert sind und einschlägige Projekte jeden überschaubaren Rahmen sprengen würden. Dazu kommt eine ganze Reihe von neuen Grammatiken, die niemand ohne weiteres überblickt. Wer kann schon Arabisch oder Albanisch oder Russisch – geschweige denn alle drei zusammen? Wer könnte einen Einfluss des Türkischen oder Serbischen wirklich kompetent belegen? Wer wollte etwas wirklich Relevantes zu jenem Einfluss sagen, den Migrantensprachenauch untereinander und aufeinander ausüben? Hier müssten Turkologie und Slavistik, Islamwissenschaften und weitere Disziplinen zusammenarbeiten, was leider in weiter Ferne liegt. Aber alle Linguisten wissen auch, dass man eine Sprache nicht unbedingt perfekt beherrschen muss, um aus ihr Daten für eine schlüssige Argumentation zu gewinnen.
Abschied von alten Torheiten
    Das gesprochene Deutsche befindet sich heute, 2013, in dem fortgeschrittenen kritischen Stadium eines beschleunigten, zu großen Teilen durch Sprachkontakte ausgelösten Sprachwandels. Wenn man dem näher kommen will, was sich tatsächlich im Deutschen tut, d.h. worauf die Spuren an der sprachlichen Oberfläche tatsächlich hinweisen, muss man unbedingt zwei Attitüden ablegen, die nur unnötig Barrieren aufstellen. Da ist
    der alte Sprachpflege-Blick. Er guckt besorgt auf das mündliche Sprachgeschehen besonders der Jugend, wittert überall Sprachverlotterung und Sprachverfall und fordert vehement und immer wieder – und vollkommen vergeblich – die Einhaltung fester Sprachnormen. Diesen Blick haben oft Nichtlinguisten, Journalisten und Schriftsteller, die sich die Sorge um das Deutsche auf die Fahnen geschrieben haben. Der Sprachpflege-Blick gilt in Deutschland als konservativ . Zuweilen kommt diese Attitüde auch höchst populär, ja komödiantisch daher, versehen mit dem spröden Charme des Feuilletons, wie z.B. in den (ungemein erfolgreichen) Büchern von Bastian Sick ( Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod ). Seine Fallbeispiele werden locker, humorig und augenzwinkernd dargeboten – und trotzdem regiert auch hier im Hintergrund unausgesprochen immer der Sprachpflege-Zeigefinger, der säuberlich richtiges von falschem Deutsch trennt. Hier werden die Geheimnisse des inneren Wandels des Deutschen eher verschleiert als gelüftet, und man mag sich fragen, ob das nicht letztlich ein Bärendienst ist, der die Zeitgenossen allzuleicht auf falsche Fährten lockt. Aber auch die großen Mahner der deutschen Sprachöffentlichkeit wie der virtuose Wolf Schneider oder der geniale Nabokov-Übersetzer Dieter E. Zimmer haben sich noch nicht vollkommen vom Sprachpflege-Blick emanzipiert: Dieser diktiert weiter die deutschen Sprachratgeber – ob nun im Seminar desStil-Lehrers oder in den Warnungen vor dem wachsenden Einfluss des Englischen.
    Da ist weiter, sozusagen am anderen Pol des Zeitgeistes,
    der alte Political-Correctness-Blick. Er besteht darauf, dass die Sprache ein dynamisches Ganzes ist und sich ständig in Bewegung befindet – obwohl das niemand bestreitet. Für ihn ist Sprachwandel jeder Art eine Bereicherung, schiere Buntheit und fördert quasi automatisch die Kreativität von Sprache und Sprechern. In der PC-Perspektive bilden Sprache und Multikulturalität eine wogende ungeklärte Melange und diese erhält ungefragt einen Wert an sich . Je mehr Sprachen und Kulturen, desto besser. Der PC-Blick lebt von der Relativierung: Sprachwandel habe es schon immer gegeben, so die Argumentation, und eine klagende Sprachpflege sei beileibe nichts Neues, und Deutschland sei
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