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Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Titel: Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert
Autoren: Uwe Hinrichs
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Bewusstseins, das alles relativieren möchte, was auch nur entfernt nach einer absolut herrschenden Meinung (oder: der Meinung der Herrschenden) aussieht und sich dabei oft selbst auf den Leim geht – ein altes 68er-Erbe. Und da ist letztlich eine linguistischeWissenschaft, die sich gegenüber der Migration und ihren Einflüssen auf die deutsche Sprache bis heute seltsam lautlos verhält.
    Nur wenige kritische Äußerungen haben hinter dem Rauch der vielen Wortbomben das Anliegen gesehen, das es wert ist, herausgehoben und gewürdigt zu werden: das sehen, was viele sehen, aber gern verschweigen; das beschreiben, was vor sich geht, warum es vor sich geht und warum es jetzt vor sich geht; es einordnen in die Analogien, die die Geschichte und die Sprachen in der Welt bieten, und einen Blick in die Zukunft zu wagen. Es geht um die Öffnung, die Weiterentwicklung, die Veränderung, die Anreicherung, ja vielleicht die Erneuerung des Deutschen im Kontakt mit vielen anderen Sprachen und Kulturen. Es ging deshalb beileibe nicht um einen kalten, nur beschreibenden Ansatz. Aber wie wollte man denn eine komplexe Entwicklung richtig einschätzen, wenn man noch nicht einmal die Fakten kennt, wenn man nicht einmal zuverlässig weiß, worum es sich im Einzelnen genau handelt? Die vielen selbsternannten Sprachpfleger, die Studiendirektoren und schreibenden Kulturschaffenden, denen das korrekte Deutsche angeblich so am Herzen liegt – sie müssen sich auch fragen lassen: Was soll man denn sonst mit gutem Gewissen tun? Oder: Was soll man tun, wenn die Politik und die offiziellen Sprachinstitutionen ihr Volk mit seiner Sprachsituation weitgehend allein lassen und auch selber ziemlich sprachlos sind?
Ein privater Migrationshintergrund
    Seit ziemlich genau fünfzig Jahren bin ich, privat und beruflich, von Ausländern, Migranten, ihren Sprachen und ihren Eigenheiten umgeben. Mein engerer Bekanntenkreis in den 1960er Jahren in Wolfenbüttel bestand vor allem aus jugoslavischen, genauer kroatischen Gastarbeitern, die aus dalmatinischen Städten wie Split oder Makarska kamen. Daneben gab es auch griechische und türkische Gastarbeiter, mit denen ich durch die Ferienarbeit in der Fabrik und auf der Baustelle in Kontakt kam. Sie waren ohne ihre Familien gekommen und blieben teils einige Jahre, teils ein volles Jahrzehnt, teils das ganze Arbeitsleben. Viele von ihnen kehren auch im Rentenalter sporadisch in ihre zweite Heimat Deutschland zurück. Oft hat das den Grund, dass ihre Kinder hier geboren und aufgewachsen sind, eine Berufsausbildung oder einStudium absolviert haben und Deutsche der zweiten bzw. dritten Generation sind. Meine Vagabundenjahre vor dem Studium verbrachte ich – irgendwie logisch – hauptsächlich auf dem Balkan und in der Türkei, was mir außer der Bekanntschaft mit dem Islam schon früh einige Grundkenntnisse des Türkischen bescherte.
    Die nächsten Stationen: In den 1970er Jahren studierte ich an der Freien Universität Berlin Slavistik und Balkanologie. An Sprachen waren das Russisch, Serbokroatisch und Polnisch in der Slavistik, Bulgarisch, Rumänisch und Neugriechisch in der Balkanologie. Nebenher absolvierten wir Grundkurse des Albanischen und fuhren jeden Sommer auf den Balkan. Nach dem Magisterexamen 1977 verbrachte ich im Rahmen eines Aufbaustudiums ein Universitätsjahr (russisch učebnyj god ) in Vorónesh, Mittelrussland, und lernte dort das gesprochene Russisch aus erster Hand kennen. Privat war ich mehr als einmal mit Frauen liiert, die aus Ost- und Südosteuropa stammten; meine derzeitige Frau kam 1992 aus Bosnien und unsere Kinder verstehen wenigstens diese Sprache einigermaßen (wenngleich sie sie auch nicht aktiv perfekt beherrschen). Muss man erwähnen, dass auch eine Handvoll Freundinnen und Freunde im Migrationsspiel der Jahre mitspielten, aus Griechenland und Rumänien, aus Polen, Tschechien und aus Albanien, das damals noch ein weißer Fleck auf der Landkarte und im Kopf der Deutschen war? Diese privaten Details sind für das Buch nicht unwichtig, weil sie eine lange Erfahrung mit den gesprochenen Umgangssprachen belegen, mit den Tücken und Lücken der Zweisprachigkeit, mit dem sogenannten ‹Akzent› im Deutschen (Migrantendeutsch) und nicht zuletzt mit jenen Attitüden und Ressentiments, die deutsche Muttersprachler gegenüber Migranten und ihren Ausdrucksweisen oft an den Tag legen –
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