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Kein Tod wie der andere

Kein Tod wie der andere

Titel: Kein Tod wie der andere
Autoren: Carsten Ness
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Prolog
    Kunkelborn; Sonntag, 29.   Mai
    Alexander Altmüller fragte sich, was er sich von diesem Wochenende auf dem Konversionsgelände der früheren amerikanischen Airbase eigentlich versprochen hatte. Hatte er wirklich gehofft, dass sich Thill mit irgendwem zeigen würde, den er nicht ohnehin auf dem Bildschirm hatte? Natürlich hatte sich der luxemburgische Investor und Flughafenplaner mit all denen umgeben, die schon seit Jahren dieser Luftnummer nachhingen, Wolkenschlösser über Bitburg bauten und den Menschen hier Milliardeninvestitionen und Arbeitsplätze vorgaukelten. Der Landtagsabgeordnete des örtlichen Wahlkreises, Markus Schilzenbach, die Stadtfürsten und Dorfhäuptlinge, alle priesen sie gebetsmühlenartig den Glücksfall dieses selbst ernannten Himmelsstürmers. Thill schien sich offensichtlich im Mittelpunkt der kommunalpolitischen Prominenz zu gefallen.
    Altmüller hatte dies heute nur am Rande verfolgt. Stattdessen hatte er unauffällig die Nähe dreier Bulgaren gesucht, bis sich herausstellte, dass auch die sich lediglich für den Kauf von ausgestellten Flugzeugen interessierten. Offenbar hatte diese erste Luftfahrtmesse in Bitburg tatsächlich nur Flugzeugverrückte angelockt. Indizien für andere Ambitionen fand er nicht. Letztendlich kam er zu dem Ergebnis, dass dieser Arbeitstag für ihn überhaupt nichts gebracht hatte.
    Die B 51 war an diesem Sonntagabend überraschend leer. In der Dämmerung des vergehenden Tages schien fast so etwas wie Idylle über dem südlichen Gutland zu liegen, als Altmüller, ohne vom Gas zu gehen, zwischen den wenigen Häusern von Meilbrück hindurchrauschte. Doch ihn erreichte diese Stimmung nicht. Die Schatten seiner Trauer und seiner Schuld hüllten ihn bereits wieder ein, wie in jedem Moment in den vergangenen Wochen, in dem er nicht arbeitete. Er konnte einfach nicht begreifen, was geschehen war. Konnte nicht fassen, was er getan hatte.
    Ohne es wirklich wahrzunehmen, umfuhr er Helenenberg auf der neuen Umgehung und nahm die Abfahrt nach Kunkelborn. Er hatte doch sorgfältig über das Versteck nachgedacht und es als sicher erachtet. Wie hatte sie es dennoch finden können? Warum war sie überhaupt dorthin gegangen? Warum war es keinem aufgefallen, dass sie allein dort war? Fragen, die seitdem ständig in seinem Kopf kreisten, unaufhörlich, jede freie Stunde, Minute, Sekunde.
    Kunkelborn lag wie immer ausgestorben da. Tot, wie der Vorbote eines anstehenden Dörfersterbens hier in der Eifel. Seit sie vor drei Jahren in das alte Bauernhaus gezogen waren, war er fast täglich durch den Weiler gefahren. Nie hatte er einen Menschen vor dem halben Dutzend Häuser gesehen. Dafür war das Leben in ihrem neuen Zuhause in der Merteskaul intensiv und lebhaft gewesen. Gewesen.
    Mit unvermindertem Tempo ließ Altmüller das letzte Haus hinter sich. Suzanne würde vielleicht noch wach sein, obwohl sie sich zuletzt fast jeden Abend früh ins Bett gelegt hatte; ohne zu schlafen. Immer stärker war seine Vermutung geworden, dass sie etwas wusste, sich seiner zu entziehen versuchte. Er ließ sie gewähren, es war auch für ihn leichter so. Altmüller passierte eine Windschutzhecke. Als er aus deren Schatten fuhr, trafen ihn die gleißenden Strahlen der tief über dem Horizont stehenden Abendsonne unvermittelt und frontal. Im gleichen Moment sah er durch seine zusammengekniffenen Augen hinter der Hecke etwas Schwarzes auf sich zukommen. Instinktiv riss er das Steuer nach links. Die K 9 war zu schmal, um seinem Ausweichmanöver ausreichend Raum zu gewähren. Sein Kombi verfehlte den einzeln stehenden Straßenbaum um wenige Zentimeter und schoss ungebremst über die meterhohe Böschung. In wilden Drehungen rollte der Audi den Hang zum Mühlenbach hinunter und grub sich schließlich nach dreißig Metern in den Waldrand hinein.
    Das Letzte, was Alexander Altmüller bewusst gehört hatte, war ein dumpfer Schlag rechts gegen sein Auto. Das Letzte, was er noch bewusst versucht hatte, war ein verzweifeltes Gegenlenken, in dem Moment, als sein linkes Vorderrad den Asphalt verließ. Das Letzte, was er dachte, als plötzliche Stille eintrat, war, dass ihm nun die gerechte Strafe widerführe. Das Letzte, was er spürte, war – nichts.

1
    Ralingen; Donnerstag, 9.   Juni
    Suzanne John-Altmüller hockte am Ufer der Sauer und blickte zur luxemburgischen Seite hinüber. Die idyllische Ruhe, die der schmale Grenzfluss mit dem leisen Rauschen über flache Stromschnellen wirkungsvoll
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