Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Feuersteins Drittes

Feuersteins Drittes

Titel: Feuersteins Drittes
Autoren: Herbert Feuerstein
Vom Netzwerk:
verschiedene Mauern, prallte grunzend gegen die Lifttür — und stand schließlich, nachdem er mit mir eine komplette Runde um die Aussichtsplattform gedreht hatte, wieder vor dem Team.
    »Ich wusste gar nicht, dass er dich so lieb hat«, sagte Kamera-Stefan, als mich Wolpers endlich absetzte. Er zog die King-Kong-Maske vom Kopf und kratzte sich verlegen unter den Achseln. Einmal Affe, immer Affe.
    »Das war deine letzte Chance, Wolpers«, sagte ich. »Und die hast du eben verbockt.«

Unheimat

    Es war kein leichter Abschied, als ich im Frühsommer 1969, nach fast zehn Jahren, meine Stadt New York verließ. Schon gar nicht von Pearl. Wir machten uns vor, es wäre nur ein »Abschied zur Probe«: ein Test, ob ich überhaupt in Deutschland Fuß fassen könnte... Bestimmt käme ich bald gescheitert wieder zurück. Oder vielleicht würde sie es sich anders überlegen und mir doch nachfolgen, wenn alles gut läuft. Ist ja noch nichts entschieden...
    Natürlich war es längst entschieden. Das wusste ich beim letzten Blick zurück auf mein Haus, das spürte ich bei der letzten Umarmung, und im Flugzeug lernte ich ein neues Phänomen meines Körpers kennen: dass einem sechs Stunden lang Tränen aus den Augen sickern können — ohne Unterbrechung. Aber als ich dann in Frankfurt ausstieg, war New York Vergangenheit. Die Green Card ließ ich verfallen.
    Ich bin heimatlos, dazu habe ich mich bereits im Schottland-Kapitel von Feuersteins Ersatzbuch ausführlich bekannt. Wo immer ich bin, fühle ich mich fremd, weshalb ich stets vorgezogen habe, dort zu leben, wo ich nicht hingehöre — da lässt sich das Unwohlsein leichter ertragen: Man ist sich ja sicher, hier nicht lange zu bleiben.
    Schuld an meinem Zustand der Unheimat ist wahrscheinlich Salzburg, die Stadt meiner Kindheit mit ihrer einmaligen Mischung von Schönheit und Heimtücke. Wer hier bestehen will, muss scheitern, sofern er nicht bedingungslos in das heimische Lager Übertritt, in die herrschende Mehrheit der Raubritter, die einst schon Mozart per Tritt in den Hintern außer Landes befördert haben und seither dafür Eintritt kassieren.
    Auf Salzburg folgte Wien, meine erste Fremdwohnung, wo man sich als Älpler allein schon aus genetischen Gründen niemals zu Hause fühlen kann, und nach New York kam Frankfurt, wo ich schon kurz nach der Ankunft aus meinem Fenster im Westend dem späteren Außenminister beim Steinewerfen Zusehen konnte. Eigentlich hätte ich damals gern mitgemacht, aber ich kam wieder mal zu spät und war wohl auch zu feige: Straßenschlachten sind ja noch brutaler als Sport und fast so sinnlos.
    Eine neue Ehe lang verbrachte ich dann im Odenwald, als einziger Atheist in einem katholischen Dorf, dessen Anerkennung ich mir mühsam erarbeiten musste, indem ich den Gläubigen zehn Jahre lang zu Ostern und Weihnachten auf der kleinen, zum Jaulen neigenden Kirchenorgel zu jenen Harmonien verhalf, die sie im Gemeinderat vergeblich suchten — heimisch bin ich trotzdem nicht geworden. Auch nicht danach, in einem Zwischenlager in Rodgau, und schon gar nicht in meiner heutigen Herberge in der Nähe von Köln. Alles Stationen, keine Heimat.
    »Heimat« könnte ich höchstens meine Wohnung nennen, obwohl »Schneckenhaus« sicher die treffendere Bezeichnung wäre. Für alle meine Wohnstätten übrigens, egal, wie lang ich mich darin aufhalte. Auch Arbeitsabsteigen gehören dazu, oder Hotels, wenn ich dort länger als eine Woche verweile. Lage, Fassade und schickes Ambiente interessieren mich wenig, ich ziehe bedenkenlos auch in zweifelhafte Gegenden — solange nur bestimmte Bedürfnisse gestillt sind. Tatsächlich sehen seit mehr als dreißig Jahren alle meine Wohnungen einander erschreckend ähnlich: hoch oben, nachbarlos und lärmsicher, mit mindestens einem übergroßen Raum zum Rotieren und Grübeln sowie einer Terrasse mit Fernblick ins Ungewisse. Die Einrichtung ist karg, auf keinen Fall üppig, nur zwei Gegenstände sind seit fast vier Jahrzehnten unverzichtbarer Bestandteil: mein selbst getischlertes Clavichord 39 mit den vier windschiefen Beinen, mit dessen Bau ich mir in meinem New Yorker Bastelkeller ein ganzes Jahr lang die Seelenwunden vom Körper gehobelt hatte. Und natürlich mein baumstämmiger Kerzenständer aus Haiti.
    Längst habe ich diesen Zustand der Unheimat angenommen und empfinde ihn sogar als hilfreich: Er erleichtert das Abschiednehmen und fördert die Lust auf neue Ziele. Aber New York war doch die Ausnahme. Es war eine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher