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Feuersteins Drittes

Feuersteins Drittes

Titel: Feuersteins Drittes
Autoren: Herbert Feuerstein
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Weiterfahrt in den vierten, weil man ja dort viel besser die Nahaufnahmen drehen konnte: unsere Gespräche und meinen ersten Versuch als Fensterputzer im Showboat- Stil, bei dem man — ähnlich dem Malen einer chinesischen Kalligraphie — aus einer einzigen Bewegung heraus die komplette Scheibe reinigt. Kameragerecht tat ich, als würde ich in höchsten Regionen schweben und um mein Leben fürchten... und dann blickte ich nach unten und erschrak zu Tode: Zehn Meter Höhe auf einem Wackelbrett sind doch schon mehr, als ich ertragen kann. Wie Nebelschwaden zog der Schwindel an mir auf.
    Sofort drehte ich mich um und starrte durch die Fenster in Büroräume, aus denen man uns entweder freundlich zulächelte oder so tat, als würde man uns gar nicht wahrnehmen. Die Fußsohlen begannen seltsam zu kribbeln, der Herzschlag wurde zum heftigen Pochen, und ich wusste: Ich durfte jetzt auf keinen Fall mehr nach unten schauen.
    »Nur noch zwei Stockwerke, BITTE!«, schnarrte Wolpers über das Funkgerät, und weil ich vor Beklemmung nichts sagen konnte, drückte Charlie auf den Knopf, und wir stiegen weiter. Ich schloss die Augen, weil es so ruckelte, und wunderte mich, dass dieses Ruckeln nicht aufhören wollte. »Wo sind wir?«, flüsterte ich, als das Brett endlich anhielt.
    »Im zwanzigsten Stock«, sagte Charlie und lachte so herzlich, wie alle Schwarzen aus Brooklyn lachen, wenn sich ein Weißer vor ihren Augen aus Angst in die Hosen macht. Dann erzählte er mir Geschichten von den Bürowohnungen ab dem 35. Stock, wo man die geilsten Dinge zu sehen kriegt, wenn man am Morgen ohne Vorwarnung vom Dach heruntergelassen wird.
    »Aha«, sagte ich und wusste, dass ich gleich springen würde.
    »Nur jetzt nicht hinunterschauen!«, redete ich mir innerlich zu, aber die Glasfassade in dieser Höhe spiegelte den ganzen Straßenzug, es gab keinen Festpunkt mehr, und wenn ich die Augen schloss, zeigte mir die Angst nur noch schlimmere Bilder der Fantasie. »Bring’s hinter dich und lass dich fallen«, befahl mir der Schwindel. Ich schwitzte am ganzen Körper, am meisten an den Handflächen und Fußsohlen, die sonst eigentlich immer trocken bleiben. Eine weitere Bosheit der Natur, damit man so glitschig ist, dass man sich nicht festhalten kann? Ein weiteres Hilfsmittel des Todes? Bestimmt hatte Wolpers unten schon Posten aufgestellt, um die Fläche auf dem Gehsteig freizuhalten, auf der ich gleich aufprallen würde.
    »Ich kann nicht mehr«, stöhnte ich, »ich werde jetzt runterschauen, und dann muss ich springen!« Ich war wirklich fest entschlossen und hatte nicht mal mehr Lust, mein bisheriges Leben an mir vorüberziehen zu lassen, wie man das angeblich sonst in den Sekunden vor dem Tod zu tun pflegt.
    Charlie lachte, weil er dachte, das wäre einer meiner dummen Witze, aber Jesus blickte in mein Herz und verließ mich nicht: Umsichtig ließ er an meinem Gürtel einen zweiten Karabinerhaken einschnappen, bevor der Sog der Tiefe meinen Verstand trüben konnte und ich den ersten Haken lösen würde. Dann drückte er auf einen Knopf, und wir fuhren wieder nach unten.
    Wolpers hatte abermals verloren, und ich kam als Ungläubiger zu einer Erfahrung, die sonst nur den Frommen vergönnt ist: Jesus stand mir bei in der Stunde der Not.

King Kongs Rückkehr

    Was ich bei den Reisefilmen ganz besonders genossen habe, war die Möglichkeit, durch die Macht der Kamera an Orte und in Situationen zu gelangen, die mir als Tourist niemals zugänglich wären: die Expertenführung durch das Wunderwerk eines Observatoriums auf einer Vulkankuppe in 4000 Metern Höhe, der Gruselbesuch auf einem raketenbestückten amerikanischen Kriegsschiff, ein privates Treffen mit Dolly, dem ersten Klon-Schaf der Welt, ein Golfspielchen mit dem Wirtschaftsminister der Vereinigten Arabischen Emirate... In den beiden früheren Büchern habe ich ja schon heftig damit geprotzt. Aber auch in New York gab es eine solche VIP-Begehung einer sonst unzugänglichen Wunderwelt: ein Besuch im Fresh Kills Landfill, wo die Stadt ihren Müll vergräbt.
    Die Deponie liegt auf Staten Island, dem am wenigsten bekannten Stadtbezirk New Yorks, von Manhattan nur mit der Fähre erreichbar, und gilt als die größte Müllhalde der Welt — jetzt mal von den Alpen gegen Ende der Skisaison abgesehen. Über eine Fläche von neun Quadratkilometern dehnt sie sich aus, zwei Drittel davon bereits abgedeckt und neu bepflanzt, aber auch der Rest schon im Endstadium. Denn ein Jahr nach unserem
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