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Feuer brennt nicht

Feuer brennt nicht

Titel: Feuer brennt nicht
Autoren: Ralf Rothmann
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der Paddocks eines Reiterhofes, lag nun das völlig unbebaute Erpetal vor ihr, eine wilde, von Eichwäldern oder Akazienhainen begrenzte Sumpfwiese, die sich mit ihren Farnen, Binsen und Knöterichgewächsen unter einem scheinbar endlosen Himmel gen Osten erstreckte. Es roch hier seltsam metallisch, nach sehr mineralhaltiger oder gar übersäuerter Erde, und weil man so eine Weite in Berlin nichtvermutet, hatte die Gegend seit jeher etwas Unwirkliches für sie, wie ein falsches Versprechen oder eine raffinierte Kulissenmalerei – wozu denn auch passte, dass der eine oder andere Baum, dem der Grund keinen Halt mehr geboten hatte in den Stürmen oder Blitzattacken der letzten Zeit, dramatisch zersplittert in den Himmel ragte oder die kurzen Kopfweiden, die neben dem Weg wuchsen, bis in die Blattspitzen zitterten, wenn man fest auftrat.
    Es wurde heller, ein Flugzeug steuerte Schönefeld an, und in einiger Entfernung erkannte sie ein Tier, einen braunen Hund, wie sie zunächst dachte; er benutzte den gleichen Weg wie sie und trottete zügig, aber doch gelassen dem Horizont zu, wobei er sich manchmal nach ihr umblickte. Bei zunehmendem Licht besehen war es aber ein Fuchs, sehr mager und ein wenig zerzaust, und als sie an ein schlammiges Wegstück kam, blieb sie einen Moment lang stehen und beobachtete, wie sich die schnurgerade hintereinander gereihten Pfotenabdrücke langsam mit Wasser füllten. Ein Hauch von Morgenrot lag darauf, ohne dass die Sonne zu sehen war, ein kupferfarbener Schimmer, der plötzlich verwischte, und sie schloss die Augen, um dem Schwindel zu widerstehen, atmete tief, geriet neben den Weg und stolperte weiter. Der Fuchs war verschwunden. Im Wald schrie ein Kauz.
    Vor einem Wehr schäumte das Fließ, bräunliche Flocken hingen im Schilf und an den Zweigen der umstehenden Trauerweiden, und als die ehemalige Mühle in Sicht kam, ein schlichtes Ziegelgebäude, von dem das Rad längst entfernt war, blickte sie noch einmal zurückin die Weite, die nun hinter ihr lag. In dem Fachwerkhaus, dessen Schornstein rauchte, wurde ein Fenster geöffnet, eine Topfpflanze auf das Brett gestellt; das Bremslicht eines Mopeds verwackelte auf der gepflasterten Brücke, und sie zog den Reißverschluss ihrer Jacke zu und bog auf einen schmalen, zwischen Nesseln, Sauerampfer und taunassem Wegerich kaum erkennbaren Pfad – eine flüchtige Wildspur, die im Moos zwischen den vereinzelten Eichen deutlicher wurde, verzweigter auch, ehe sie sich jenseits eines Forstwegs in fast unzugänglichem Dickicht verlor.
    Obwohl der Himmel über den Wipfeln schon graute, war es hier noch fast nächtlich, und sie knipste die kleine Stablampe an, die sie mitgenommen hatte, hob einen Arm vor das Gesicht und mühte sich unter den tief hängenden Ästen und den kreuz und quer ineinander gestürzten Fichtenstämmen, dünnes Gestänge, in das Dunkel hinein. Zweige, die zum Teil abgestorben waren und harsch und spitz, blieben in ihrer Kleidung hängen, dem Haar, immer wieder brach sie in Kaninchenbauten ein, und manchmal hörte sie das leise Platzen der Kappen, wenn sie auf Pilze trat. Aus manchen puffte ein pfeffriger Staub hervor. Das ganze Waldstück wurde wenig gehegt, was wohl daran lag, dass es für Forstfahrzeuge kaum zugänglich war, da es aus vielen mehr oder weniger tiefen, wild überwucherten Sprengtrichtern aus dem letzten Krieg bestand; bei Tageslicht konnte man hier und da Bunkertrümmer sehen, und überall hingen Schilder, die vor Munitionsresten warnten und den Zutritt untersagten.
    Um die Richtung nicht zu verlieren, orientierte sie sichgrob an den gelegentlichen Jets hoch über ihr, von denen sie manchmal die Signallichter sah, meistens aber nur die Düsen hörte; Schönefeld lag im Süden. Sie stolperte in eine Senke, wo sie bis zu den Schäften ihrer Boots im Schlamm versank, zog sich an verdorrtem Ginster und anderem Gestrüpp am nächsten Hang wieder hoch und blieb einen Moment zwischen dünnen Birken stehen. Ihr Herz schlug im Hals, und sie knipste die Lampe aus und kämpfte gegen die Übelkeit an, die sie plötzlich überfiel. Modrig roch es, nach Verrottendem, nach Kot, und die Stille im Wald kam ihr wie ein Atemanhalten vor, ein Stutzen gar, ehe sie plötzlich ein Knacken in der Nähe hörte, das Splittern von Holz.
    Das musste ein schweres Tier sein, das da durch das Fichtengewirr davonpreschte; der nadelige Boden schien zu federn unter seinem Gewicht, die zarteren Baumspitzen schwankten. Einen Moment lang regnete es
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