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Feuer brennt nicht

Feuer brennt nicht

Titel: Feuer brennt nicht
Autoren: Ralf Rothmann
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nicht vergessen ließ. »Die Verzweiflung darüber, nur Asche zu sein«, stand da, »das ist die Glut. Und die Verzweiflung darüber, pleite zu sein, das ist das Leben. Doch fürchtet euch nicht! Bei Gott habt ihr keinen Cent verloren.«

    Als Wolf an einem der nächsten Tage von Charlotte kommt, sitzt Alina lesend auf der Couch, und da sie seinen Gruß nur mit einem Nicken erwidert, schaltet er die Deckenlampe an und sieht, dass sie geweint hat. Die Wimpern sind fast farblos, was dem Blick etwas Ungeschütztes gibt, die Nasenflügel gerötet, und eine Tränenspur auf der Wange ist zwar schon wieder getrocknet; doch kaum setzt er sich zu ihr, werden die Augen von neuem feucht. Die Stirn fühlt sich heiß an, als hätte sie Fieber, was sie aber verneint, nur etwas Kopfweh habe sie, und damit er ihr Gesicht nicht sieht, schmiegt sie es an seine Brust.
    Sie hat in der Bibel gelesen, in den Psalmen, und er wendet den Kopf ab, blickt aus dem Fenster. Der Besuch bei der anderen war missraten; außer sich wegen eines Kollegen, mit dem sie eine Sammlung wissenschaftlicher Arbeiten herausgibt und der aufgrund seines größeren Engagements an erster Stelle auf dem Buchdeckel genannt werden will, hatte Charlotte sich betrunken. Dem Alphabet zufolge sei das ihr Platz. Ihm wiederum war der Umstand, dass erwachsene Menschen mit pädagogischem Auftrag sich darum so erbittert streiten und sogar vor die Universitätsleitung zerren, derart traurig vorgekommen – er konnte die Frau nur noch enttäuschend finden. Zwar gingen sie miteinander ins Bett, doch eine nennenswerte Erregung stellte sich nicht ein; er leckte sie höflich, sie kam erst lange nicht und dann seltsam ächzend, wie mit zusammengebissenen Zähnen, und weil er so schnell wie möglich gehen wollte, hatte er vergessen, sich zu waschen. Schon in der Bahn war ihm aufgefallen, dass er um den Mund herum nach ihr riecht, und um einen Grund zu haben, sich von Alina zu lösen, steht er mit einer launigen Bemerkung über die andere auf.
    »Nein, nein«, sagt sie und schnieft. »Ich will nicht, dass du das beendest. Ich sehe ja, dass es dir guttut. Vielleicht hocken wir wirklich ein bisschen zu eng aufeinander. Aber ganz egal kann es mir doch auch nicht sein, oder? Wenn es mir überhaupt nichts mehr ausmachen würde, käme ich mir seltsam vor. Willst du was essen?«
    An Geld ist nicht zu denken. Es gibt keine Rücklagen, keine Versicherungen oder Bausparverträge, das wäre ja noch schöner, und dass eine Bank einem Schriftsteller mit eher lyrischen Bezügen einen Kredit für einen Hauskauf einräumt, kommt nicht einmal in Romanen vor. Auch Alina verdient nichts, und so bleibt nur der Verleger, der sich in der Vergangenheit immer wieder freundlich besorgt gezeigt hat, was ihre Lebensumstände betrifft, und dem Wolf nach einer erneuten Fahrt nach Birkenlohe und der Besichtigung des Hauses – das eine gewundene Innentreppe hat und Kirschholzpaneel an den Wänden und dessen Räume gerade so groß sind, dass man sie nicht klein finden kann – einen Brief schreibt. Doch fühlt er sich nicht wohl dabei, entwirft ihn immer wieder neu und versucht seiner Handschrift den Schwung zu geben, der seinem Mut fehlt.
    In einer Mischung aus Instinkt und Überlegung hat er bisher jede Abhängigkeit von seinem Verlag vermieden; die leiseste Unfreiheit, davon ist er überzeugt, würde sein Tun beschädigen, seine Visionen zu »Projekten« machen, seinem Scheitern das Bereichernde und seiner Sprache das Schwebende nehmen. Nie hat er um Vorschüsse für ungeschriebene Bücher gebeten und auch für vollendete nur so viel verlangt, wie durch den absehbaren Verkauf, den denkbar dürftigsten, wieder hereinkäme. Sich nun deswegen eine Kreditwürdigkeit auszurechnen, erscheint ihm aber doch so naiv, dass er schon während der ersten Briefskizzen um die Achtung des Angeschriebenen bangt.
    Zwar ist sein distinguierter Verleger oft sehr viel mehrals ein Geschäftsmann, jedoch niemals weniger, und sein Humor hat Grenzen, die sich in Zahlen ausdrücken lassen. Zudem würde eine Ablehnung nicht nur bedeuten, dass sie das Haus, dessen Preis mehr als entgegenkommend ist, nicht kaufen könnten; das wäre zu verschmerzen. Es hieße vor allem, dass man dem Potential des inzwischen fünfzigjährigen Autors nicht mehr die Bücher zutraut, die den Betrag wieder hereinbrächten. Und selbst wenn der von seinem Verleger so genannte Zustrom von Erwartung bisher mehr angenommen als gefühlt war – schon die Vorstellung,
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