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Feuer brennt nicht

Feuer brennt nicht

Titel: Feuer brennt nicht
Autoren: Ralf Rothmann
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ginge es hier nicht um Halbheiten, wie überall; doch er liebt die Einzelsitze –, »vor Katastrophen gibt es nur einen Schutz: Angst davor zu haben!«
    Obwohl die Post noch nicht dagewesen sein kann, blickt er in den Briefkasten. Alina ist nicht zu Hause. Vermutlich ist sie zum Bäcker gegangen oder in den Supermarkt, der neuerdings rund um die Uhr geöffnet hat, und er deckt den Frühstückstisch, presst ein paar Orangen aus und legt sich noch einmal auf das schon gemachte Bett, wo er einschläft und lange nicht wach wird, bis kurz vor Mittag nicht. Er träumt von seinen verstorbenen Eltern, die nun in New Orleans wohnen, in einem Stadtteil namens Moneygarden; er träumt von dem Hund, seinem Kläffen, das wie Schritte klingt, treppab. Dann spürt er die Sonne im Gesicht, schlägt die Augen auf und wird zunächst nicht schlau aus der Situation. Hunger hat er und ruft nach Alina, ohne eine Antwort zu bekommen; er blickt sich um, nimmt einen Apfel aus der Schale neben dem Bett und ruft lauter, was die Stille in der Wohnung noch zu verdichten scheint, und als er sich aufsetzt, das Telefon an der Schnur herbeizieht und ihre Nummer wählt, klingelt das Handy in der Schreibtischlade.

    Die Räume sind dieselben, und sie sind es nicht. Fast unmerklich bewegen sich die Staubflocken unter dem Bett und den Schränken, und das Licht im späten September liegt wie verschüttet auf dem Parkett, das leise knackt in der Wärme, während die Umrisse derGegenstände immer deutlicher werden, immer entschiedener auch, Signaturen der Erinnerung. Im Orangensaft schwimmt eine Fliege.
    Die Zeit zieht sich zusammen, letzte Kastanien fallen auf die Wagendächer, und beim nächsten Aufblicken sind die Bäume kahl, die Nächte namenlos leer, und das leises Trommeln des Regens auf den schrägen Fensterscheiben lässt ihn daran denken, dass sie ihre Liebe tatsächlich einmal mit einer Kirche verglichen hat, irgendwo am bretonischen Meer, einer einsamen Kirche, in der man Möwenschreie hört. Das war in St.-Malo, vermutet er, während Reflexe der blauen, gelben und grünen Silvesterraketen durch die dunkle Wohnung huschen und er reglos in der Stille sitzt, im Geflacker der Schatten. Oder eher bei Brest? Ein riesiger Spiegel hing in dem Gemäuer, ein rostfleckiges Ding mit goldenem Rahmen, in dem sie sich sehen konnten, Schulter an Schulter auf der Bank: ein Bild, in dem eine Farbe die andere hervorhob und beide eine unnennbare, nie gesehene, nicht wirklich sichtbare und doch seltsam schwingende dritte ergaben.
    Die Zeit dehnt sich, und noch das Schneelicht im März scheint wie vergeudet für den, der auf einen Anruf wartet, ein erlösendes Wort, während ihm der Puls in den Ohren pocht, Systole, Diastole, und ihm die Augen brennen vor Schlaflosigkeit. Während neue Triebe aus den verdorrten Zimmerpflanzen sprießen, Vögel wieder mit dem Nestbau beginnen und Haare von der Dachterrasse picken, aus dem Moos der Bodenfugen, schwarze und leicht schimmernde rote.
    In der stets sich erneuernden Überzeugung, ein Autor müsse schönes Schreibzeug haben, Dinge, die er gern zur Hand nimmt oder die ihn inspirieren, hat Alina ihm im Lauf der Jahre neben edlem Papier und ledergebundenen Notizbüchern auch einen kostbaren Montblanc mit goldener Feder, einen schweren Schildpatt-Kugelschreiber und exquisite Drehbleistifte geschenkt, und natürlich benutzt er dies und das schon einmal; doch am liebsten hat er billiges Kaufhaus-Zeug, Ringhefte mit faserigem Papier und verwischtem Liniendruck, knarzende Filzschreiber oder Bleistifte, die nach Zedernholz riechen, und er mag es, eine neue Patrone in ihren uralten, mit Tesafilm geflickten Geha-Schulfüller zu drücken, der so leicht und flüssig schreibt, dass es einen unversehens über den Blattrand treibt. Und wenn ihm dann etwas gelingt, freut er sich über seine blauen Finger ähnlich wie früher als Lehrling auf dem Bau über seine ersten Schrunden und Schwielen, die zwar den Mädchen die Strümpfe zerrissen, den Eltern und Freunden aber ein Beweis dafür waren, dass er »richtig« gearbeitet hatte.
    Als die Tür ins Schloss fiel, stand sie auf, schreibt er und korrigiert es sogleich: … erhob sie sich. Obwohl sie wusste, dass er so nicht gern lag, hatte sie sich die ganze Nacht an ihn geschmiegt. Doch nicht ihre Nähe – der Streit der Katzen im Garten hatte ihn geweckt, das martialische Schreien, woraufhin sie rasch die Augen schloss, und nun war es so still, dass sie nicht nur das Davongehen ihres Mannes
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