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Schneeballflirt und Weihnachtszauber

Schneeballflirt und Weihnachtszauber

Titel: Schneeballflirt und Weihnachtszauber
Autoren: Sissi Flegel
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Z itternd vor Kälte stand ich auf dem Speicher unseres alten Hauses. Es regnete in Strömen; der eisige Dezemberwind pfiff durch die Ritzen im Dach und wirbelte Staub auf, der als winzige silberne Pünktchen in der Luft schwebte.
    Mit gerunzelter Stirn starrte ich in den fast blinden Spiegel und drehte mich unschlüssig um mich selbst. »Wie sehe ich aus? Findest du nicht, dass ich mich in dem Aufzug zum Affen mache?«
    »Absolut nicht.« Melanie, meine Cousine, strich die Falten des langen weißen Nachthemds meiner Urgroßmutter glatt. »Du bist der schönste Engel, den ich je gesehen habe.«
    »Kunststück! Ich bin ja auch der einzige, der dir je erschienen ist!«
    Melli kicherte. Sie befestigte die Flügel aus weißen Kunststofffedern auf meinem Rücken. »Du siehst einfach umwerfend aus; jeder wird stehen bleiben und dir was spenden. Hundert Pro.«
    »Wenn du meinst? Mensch, Melli, das ist garantiert die verrückteste Idee des Jahrhunderts.«
    »Spinnst du? Sie ist einfach genial, und das weißt du auch.«
    »Hm.« Ich zupfte an den langen goldenen Locken meiner Engelshaare. Die Perücke saß ein bisschen lose auf meinem Kopf; wenn ich ihn schnell bewegte, rutschte sie mir übers linke Auge. »Jeder wird mich erkennen! Ich muss eine Sonnenbrille aufsetzen«, jammerte ich.
    »Ja klar! Wie wäre es mit einem weißen Nikolausbart?«, spottete sie. »Ich weiß was Besseres. Du schiebst dir Wangenpolster in den Mund. Die verändern total das Gesicht.«
    »Kann man damit Mundharmonika spielen? Und wo bekommt man sie?«
    »Ich hab sie schon.« Melli holte ein Päckchen aus ihrer roten Tasche und wickelte es auf. »Hier. Schieb sie dir in den Mund. Ich habe sie benutzt, als ich voriges Jahr den Clown in der Theater- AG gespielt hab. Erinnerst du dich?«
    Melli ging in meine Paraklasse. »Klar erinnere ich mich. Hast wohl vergessen, sie zurückzugeben, was? Sag mal, klebt deine Spucke noch dran?«
    »Ich hab sie gewaschen. Sogar mit warmem Wasser und Flüssigseife«, versicherte sie. »Los, worauf wartest du?«
    Ich legte die Wangenpolster ein, und als Melli mir noch den Reif mit den goldenen Sternchen in die Engelslocken drückte, erkannte ich mich selbst nicht mehr. Flugs hielt ich die Mundharmonika an die Lippen und blies Kommet ihr Hirten .
    »Na, geht doch.« Zufrieden tupfte Melli einen Klecks Rouge auf meine Backen. »Toll siehst du aus. Dein Foto in der Zeitung wird der Knüller Der schönste Engel macht Station in unserer Stadt.. Womit haben wir das verdient?«
    »Mit meinem Mega-Pech«, sagte ich düster. Wir sahen uns bedeutungsschwanger an. »Wie kann ein Mensch nur so ins Unglück geraten?«, fragte ich meine Cousine. Sie antwortete mit einem tiefen Seufzer. Der sagte alles.
    Dann nahm sie mir den Reif aus den Haaren und die Flügel vom Rücken, ich zog das Urgroßmutter-Nachthemd aus und zerrte die Wackelperücke vom Kopf. Wir versenkten alles in einem Reisekoffer, der seit vielen Jahrzehnten auf dem Speicher Staub ansetzte, und gingen zum Aufwärmen in mein Zimmer.
    »Ich kann nur zwei Lieder spielen«, sagte ich bedrückt. » Kommet ihr Hirten und Ihr Kinderlein kommet . Sag mal, warum kommet die Leute in den alten Liedern?«
    Melanie zuckte die Schultern. »Null Ahnung. Könntest du nicht was Flotteres bieten? Ich denke an Jingle Bells .«
    »Bist du wahnsinnig? Versuch das mal auf der Mundharmonika!«, protestierte ich entsetzt. »Das schaffe ich nie!«
    »Na dann … macht nichts. Wenn du von jedem Lied alle Strophen spielst, reicht das für einen ganzen Nachmittag«, sagte sie entschieden. »Die Passanten kommen und gehen. Kein einziger wird sich alle Strophen anhören – ich jedenfalls würde das langweilig finden.«
    »Genau das ist das Problem. Fünf Mal dasselbe Lied ist langweilig. Für mich und für die Hörer.«
    »Na und? Das bisschen Langeweile dient einem guten Zweck. Vergiss das nicht, Katinka. Oder willst du etwa Weihnachten hier feiern?«
    Ich nahm meinen Kopf in beide Hände und stöhnte laut. »Niemals! Ich hasse Weihnachten!«
    Das war nicht gelogen. Und übertrieben schon gar nicht.
    Ich hasste Weihnachten. Fürchtete Weihnachten. Würde es nie mehr feiern. Niemals nie. Never ever. Dabei hatte ich Weihnachten geliebt; früher hatte ich mich spätestens am Ende der Sommerferien darauf gefreut, denn Weihnachten wurde in meiner Großfamilie ausgiebig und mit allen Schikanen gefeiert; für uns war es DAS Fest im Jahr!

    Warum? Meine Eltern, ich und meine jüngeren Zwillingsschwestern
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