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FBI: Die wahre Geschichte einer legendären Organisation (German Edition)

FBI: Die wahre Geschichte einer legendären Organisation (German Edition)

Titel: FBI: Die wahre Geschichte einer legendären Organisation (German Edition)
Autoren: Tim Weiner
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in den Bezirks- und Bundesgefängnissen überall im Land. Die Haftanstalt auf Ellis Island war zum Bersten voll. In den Chicagoer Gefängnissen herrschte drangvolle Enge. In Detroit quetschte man 800 Verdächtige in einen Flur im obersten Stock des Postamts; der Bürgermeister protestierte dagegen; ein prominenter Bürger verglich die Zustände dort mit denen im Schwarzen Loch von Kalkutta. Im Bostoner Hafen pferchte man mehr als 600 Menschen in das unbeheizte Gefängnis von Deer Island.
    »Das Justizministerium der Vereinigten Staaten ist heute ein Menschennetz, dem kein Gesetzloser entrinnen kann«, schrieb Justizminister Palmer. Seine Mitarbeiter verschickten an alle großen Zeitungen und Zeitschriften in Amerika stapelweise Pressemitteilungen, politische Cartoons und Fotos von ungepflegten Häftlingen. Palmer verkündete, er »reinige das Land von diesem ausländischen Abschaum«, ermutigt durch »die Hoffnung, dass die amerikanischen Bürger für uns in einer riesigen Organisation als freiwillige Agenten tätig werden«.
    »Was wird aus der Regierung der Vereinigten Staaten, wenn man zulässt, dass diese ausländischen Radikalen die Grundsätze der Kommunistischen Partei umsetzen?«, fragte Palmer. »Von ihr würde nichts mehr übrig bleiben. Anstelle der Regierung der Vereinigten Staaten hätten wir den Schrecken und Terror bolschewistischer Tyrannei […] Das Justizministerium wird den Angriff dieser ›Roten‹ auf die Regierung der Vereinigten Staaten weiterhin mit Wachsamkeit verfolgen, und kein Ausländer, der die Abschaffung von Recht und Ordnung in diesem Land befürwortet, wird entkommen.« [63]  
    Im Kongress wurde nun ernsthaft über die von Palmer vorgeschlagenen neuen Gesetzesbestimmungen gegen Aufwiegelung diskutiert, die die Verhaftung von Bürgern in Friedenszeiten vorsah, wenn sie politisch brisante Reden hielten. Das Repräsentantenhaus stimmte dafür, seinem einzigen sozialistischen Mitglied den Sitz zu entziehen. Das Parlament des Staates New York schloss seine fünf gewählten sozialistischen Abgeordneten aus. Die öffentliche Zustimmung für Palmer wuchs. Politiker erklärten ihn zum sicheren Kandidaten für die nächsten Präsidentschaftswahlen.
    Hoover sonnte sich in dem Ruhm, der auf ihn abstrahlte. Er war zur öffentlichen Figur geworden, die im ganzen Land als oberste Autorität des Justizministeriums in Sachen Kommunismus galt.
    Die ersten Aufnahmen Hoovers im Amt zeigen, wie stolz er war. Tiptop in Form, flott gekleidet. Modischer Anzug mit kecker Krawatte. Unter einem leicht vorstehenden Kinn der streng gebundene Knoten. Er lächelt verhalten, doch seine Augen sind todernst. Mit einem Füllfederhalter unterzeichnet er eine Anordnung. Er wirkt erstaunlich jung.
    Wie seine Vorgesetzten begann er, sich Reporter heranzuziehen. Er führte ein dickes Heft mit Zeitungsausschnitten. (Gelegentlich wurde er fälschlicherweise als »J. A. Hoover« oder »J. D. Hoover« bezeichnet. Allerdings nicht lange.)
    Mit regelmäßigen Bulletins über Kommunisten und Radikale in Amerika arbeitete er daran, seinen Ruf innerhalb der Regierung und in der Öffentlichkeit zu festigen. Das erste ging wenige Tage nach den Verhaftungen vom Januar 1920 heraus. Seine These war, dass sämtliche Bedrohungen des vergangenen Jahres – die terroristischen Bombenanschläge, die landesweiten Streiks – einem im Kreml ausgeheckten Masterplan entsprungen seien.
    »Es gibt eine internationale revolutionäre Verschwörung, die erbittert vorangetrieben und äußerst raffiniert gesteuert wird«, hieß es in einem seiner ersten Berichte an den Kongress, in dem er ein Untergangsszenario an die Wand malte, wonach die Existenz Amerikas gefährdet sei. »Die Zivilisation steht ihrer schrecklichsten Bedrohung gegenüber, seit die Barbarenhorden in Westeuropa einfielen und das Mittelalter einläuteten.« Er verfolgte die Theorie, dass die Kommunisten geheime Zellen in Mexiko aufbauen, dort Waffen aus Deutschland und Japan horten, über die Grenze nach Amerika vordringen und die Saat der Revolution unter der schwarzen männlichen Bevölkerung der Südstaaten säen könnten. Seiner Überzeugung nach befand er sich in einem Kampf, bei dem die Welt auf dem Spiel stand. [64]  
    Hoovers erste Antiterror-Maßnahme fiel auf den 14. Februar 1920. In Paterson, New Jersey, stürmten das Bureau und die lokale Polizei Wohnungen und Lagerhallen und hoben eine italienische Anarchistengruppe namens L’Era Nuova mit siebzehn Mitgliedern
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