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Falscher Ort, falsche Zeit

Falscher Ort, falsche Zeit

Titel: Falscher Ort, falsche Zeit
Autoren: Walter Mosley
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Schläger oder Straßengauner. Er spielte in einer eigenen Liga.
    Am Ende des ersten Drinks war ich mir ziemlich sicher, dass Sam Strange mir die Wahrheit gesagt hatte. Eher würde ich seinen Boss hintergehen als er. Er mochte seinen Job und den Schutz durch Rinaldos Büro.
    Nach meinem zweiten Cognac war ich mir ziemlich sicher, dass auch der Big Boss nichts von dem Verbrechen gewusst hatte, in das ich gestolpert war. Wenn Gefahr im Verzug gewesen wäre, hätte Rinaldo mich das wissen lassen, nicht aus Sorge um meine Sicherheit, sondern aus Eigeninteresse. Warum sollte er seinen Namen, wenn auch unausgesprochen, mit einem Mord in Verbindung bringen?
    Nein, das Ganze war keine Falle gewesen. Die Situation war einfach schneller eskaliert, als Alphonse vermutet hatte.
    Ich hatte einmal an meinem dritten Cognac genippt, als mein Handy das Geräusch eines am Himmel dahinziehenden Schwarms Gänse von sich gab.
    »Ja, Katrina?«
    »Du hast nicht angerufen«, sagte sie.
    Nach so vielen gemeinsamen Jahren lässt sich ein ganzes Lebenskapitel auf drei oder vier Wörter reduzieren. Wir hätten über ihre neue Gewohnheit sprechen können, auf mich zu warten, seit sie zurückgekommen war und die Wegmarke eines halben Jahrhunderts passiert hatte. Sie suchte nicht mehr nach einem neuen Mann, sagte sie. Und selbst wenn – solange sie da war, würde sie sich benehmen wie meine Ehefrau.
    »Ich habe einen Job zu erledigen«, erklärte ich ihr. »Es ist komplizierter geworden, als ich dachte.«
    »Oh.«
    Wenn wir frisch verliebt oder auch erst fünf Jahre verheiratet gewesen wären, hätte diese Unterhaltung sich eine halbe Stunde lang hinziehen können.
    »Sei vorsichtig«, sagte sie.
    »Gute Nacht.«
    »Ich schätze, jetzt sind nur noch wir beide übrig«, sagte Lucy, als ich das Gespräch beendet hatte. Ich blickte mich in der leeren Bar um.
    »Die Geschäfte laufen mies, was?«
    »Das ist nur eine Flaute.«
    »Vor dem Sturm?«
    Lucy sah mich unverwandt an. Es war lange her, doch ich erinnerte mich an diesen Blick.
    Ein Bär knurrte unruhig.
    »Hallo?«, sagte ich in mein Handy.
    Lucy entfernte sich. Sie war dünn, hatte jedoch runde Hüften.
    »Haben Sie mit der fraglichen Frau gesprochen?«, wollte Sam Strange wissen.
    »Nein.«
    »Und?«
    »Es gab Komplikationen.«
    »Was für Komplikationen?«
    »Ein Mord.«
    »Tara?«
    »Schon möglich.«
    »Dies ist nicht der Zeitpunkt, auf schüchtern zu machen, Mr. McGill. Er hat schon drei Mal nach dem neuesten Stand gefragt.«
    Ich sah Lucy beim Polieren des Waschbeckens zu und dachte an die Songzeile Where did our love go?
    »Das tote Mädchen hieß Wanda Soa, hat man mir erzählt. Irgendjemand hat ihr das Gesicht weggeschossen. Ihr mutmaßlicher Mörder lag anderthalb Meter daneben, mit einem Messer in der Brust. Eine Waffe wurde nicht gefunden.«
    »Weiß die Polizei es schon?«
    »In der Tat.«
    »Hat sie mit Ihnen gesprochen?«
    »Ausführlich.«
    »Und warum haben Sie nicht angerufen, um das zu melden?«
    Auf diese Frage war keine Antwort immer noch besser als jedes Wort zu viel.
    »Ich werde ihm berichten und mich wieder bei Ihnen melden, falls es noch etwas gibt«, sagte Sam Strange.
    Er legte auf, und ich schaltete mein Handy aus, weil mir die leicht benommene Stille nach drei Gläschen guten Alkohols lieber war.
    »Bring mich nach Hause«, sagte Lucy. Sie ließ mir keine Wahl.

6
    Einen halben Block von der Bar entfernt hakte Lucy sich bei mir unter, und wir gingen schweigend weiter. Ich verzichtete auf einen Kommentar, als wir an Gerttruds Haus vorbeikamen. Vier Blocks später blieb sie in einer stillen, um nicht zu sagen verlassenen Straße stehen.
    »Hier sind wir«, sagte sie und wies mit dem Kopf auf die Haustür.
    Sie zog die Hand aus meiner Armbeuge und zückte einen einzelnen, imposanten Schlüssel, mit dem sie die Tür aufschloss.
    »Du bist sehr still«, sagte sie, auf die unausgesprochene Intimität zwischen uns bauend.
    »Ich denke nur nach.«
    »Ja?«
    »Als ich jünger war, hätte ich ein hübsches junges Ding wie dich über die Schulter geworfen und die Treppe hochgetragen.«
    »Ich weiß nicht. Ich wohne im fünften Stock.«
    Ich zuckte die Achseln. Mit derselben abschätzigen Geste hatte ich im Laufe der Jahrzehnte auch reagiert, wenn man mir Gewalt angedroht hatte.
    »Wenn du mich bis zur Wohnungstür trägst, kannst du mit mir machen, was du willst.«
    Ich atmete schon schwer. Lucy quiekte und kicherte, als ich sie über die Schulter warf und, jeweils zwei
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