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Falscher Ort, falsche Zeit

Falscher Ort, falsche Zeit

Titel: Falscher Ort, falsche Zeit
Autoren: Walter Mosley
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noch einmal.
    »Das habe ich Ihnen gerade erklärt.«
    »Verstehen Sie mich nicht falsch, Mr. McGill, aber Sie wirken auf mich nicht wie ein Mann, der einen Raum auch dann noch betritt, wenn die Aussicht auf einen persönlichen Profit eliminiert wurde.«
    »Unten hatte ich ja noch keine Ahnung, was passiert ist. Ich wusste nicht, ob meine Klientin noch lebt und ob das Verbrechen vielleicht gar nichts mit meinem Auftrag zu tun hat. Das weiß ich nach wie vor nicht. Wie hieß das Opfer?«
    Lieutenant Bonilla lächelte.
    Ich zog die Schultern hoch.
    »Was hat diese Laura Brown Ihnen sonst noch gesagt?«
    »Gar nichts. Sie meinte, irgendjemand hätte mich empfohlen, hat jedoch keinen Namen genannt. Das ist nicht ungewöhnlich. Ich habe festgestellt, dass Menschen es nicht mögen, wenn ich an sie erinnert werde. Verstehen kann ich das nicht.«
    »Hat sie irgendjemanden erwähnt?«
    »Nein.«
    Bonilla kniff die Augen zusammen und schien zu einer Entscheidung zu kommen.
    »Wir vermuten, dass der Typ der Schütze war«, sagte sie, »haben jedoch keine Waffe gefunden. Sie hat ihn jedenfalls bestimmt nicht erstochen.«
    »Hat irgendjemand Schüsse gehört?«
    Bonilla schüttelte sanft den Kopf.
    »Wow«, sagte ich und meinte es auch so. Ein Berufskiller mit schallgedämpfter Waffe wird Sekunden nachErledigung seines Jobs mit einem Küchenmesser getötet.
    In diesem Moment hasste ich Alphonse Rinaldo wirklich.

4
    Als ich ungefähr fünf war, nahm mein Vater, ein kommunistischer Autodidakt, mich mit nach Chinatown. Er versuchte ständig, mir Lektionen über das Leben zu erteilen. An jenem Tag kaufte er mir eine gewebte chinesische Fingerfalle. Auf seine Aufforderung hin schob ich meine Finger von beiden Seiten in die Bambusröhre.
    »Und jetzt zieh sie wieder raus«, sagte er.
    Ich weiß noch, dass ich lächelnd die Hände auseinanderriss, nur um festzustellen, dass meine Finger von dem störrischen Spielzeug festgehalten wurden. Sosehr ich mich auch bemühte, der Zylinder klebte wie Leim an mir. Mein Vater wartete, bis ich den Tränen nahe war, ehe er mir das Geheimnis verriet: Man musste beide Hände zusammendrücken, um die Röhre zu erweitern und sich so zu befreien.
    Die demütigende Erfahrung vermieste mir die Laune.
    »Was hast du daraus gelernt?«, fragte mein Vater mich, nachdem er mir bei einem Straßenhändler in Little Italy eine Packung karamellisierte Erdnüsse für zehn Cent gekauft hatte.
    »Nichts«, sagte ich.
    Tolstoy McGill war groß und sehr dunkelhäutig. Ich habe seine Hautfarbe geerbt. Er lachte und sagte: »Das ist schade, denn ich habe dich gerade eine der wichtigsten Lektionen gelehrt, die jeder Mann von Joe Müllmann bis Präsident Kennedy lernen muss.«
    Wie alle schwarzen Kinder liebte ich Präsident Kennedy, so dass mein Interesse trotz der erlittenen Demütigung geweckt war.
    »Und welche ist das?«
    »Es ist immer leichter, Ärger zu bekommen, als ihn wieder loszuwerden.«
     
    An diese Lektion meines Vaters wurde ich erinnert, als ich überlegte, wie ich mich Detective Bonilla und ihrer Ermittlung entziehen konnte.
    »Vielleicht sollten Sie mit mir aufs Revier kommen«, schlug sie vor.
    »Nein«, sagte ich und spürte, wie die Bambusröhre sich um mich zusammenzog.
    »Als unentbehrlicher Zeuge«, sagte sie. Das waren die Zauberworte.
    »Dann ist das also Laura Brown?«
    »Das ist egal«, sagte Bonilla. »Sie hat sich Ihnen gegenüber als Laura Brown ausgegeben.«
    »Ich hab Ihnen alles gesagt, was ich weiß.«
    Bonilla gehörte zu der neuen Sorte von Polizisten, die die Welt nicht nur schwarz und weiß sahen. Mein Handeln in dem letzten Fall, an dem sie gearbeitet und der ihr zweifelsohne ihre Beförderung eingebracht hatte, war unerklärlich gewesen. Einerseits hatte ich einen sehr viel größeren und stärkeren Mann erschlagen; andererseits hatte ich mich selbst in Gefahr gebracht, um das Leben einer jungen Frau zu retten.
    »Kommen Sie«, sagte sie und führte mich ins Schlafzimmer.
    Die anderen Bullen starrten uns an, aber Bethann Bonilla war aus hartem Holz geschnitzt. Von ihren Kollegen ließ sie sich nicht einschüchtern.
     
    Das Schlafzimmer war unordentlich, so wie es manche junge Frauen sind. Pastellfarbene G -Strings, Strümpfe und Schuhe waren auf dem Fußboden verteilt. Die Kommode war mit offenen Make-up-Döschen übersät.
    »Es gibt einen stehenden Befehl, Sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit festzunehmen«, sagte Bonilla zu mir, als wir außer Hörweite der anderen
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