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Falscher Ort, falsche Zeit

Falscher Ort, falsche Zeit

Titel: Falscher Ort, falsche Zeit
Autoren: Walter Mosley
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Ordnung?«
    Obwohl wir, wie vor langer Zeit die Kontinente, auseinandergedriftet waren, konnte Katrina nach wie vor meine Stimmungen lesen. Es bestand eine Art unterirdische Verbindung, die es meiner Frau ermöglichte, meinen Gemütszustand zumindest teilweise zu erkennen. Es war nicht allein Auras Entscheidung weiterzuziehen, die an mir nagte. Es war mein Leben an diesem Tisch, Dimitris untypische Wut auf seinen Bruder und sogar diese zarten Blümchen, die dort standen, wo vorher nie Blumen gestanden hatten.
    In meinem Hinterkopf regte sich ein Gefühl, als würde etwas in mein Bewusstsein drängen wie eine Motte, die sich zitternd aus ihrem Kokon schält.
    Das Telefon klingelte, und Katrina zuckte zusammen. Als ich in ihre graublauen Augen blickte, schien sich ein wortloses Wissen zwischen uns zu übertragen.
    »Ich geh ran«, rief Shelly und rannte in den Flur, wo das kabellose Telefon in seiner Ladestation lag.
    Katrina lächelte mich an. Auch das gab mir zu denken. Sie war seit fast einem Jahr wieder zu Hause, und in dieser Zeit war ihr Lächeln zögerlich und zerknirscht gewesen. Sie wollte mir zeigen, dass sie vorhatte zu bleiben, ihre Vergehen bereute und sich ein funktionierendes Zusammenleben mit mir wünschte. Doch an jenem Abend war ihr Lächeln souveräner. Sogar die Art, wie sie dasaß, wirkte majestätisch und selbstsicher.
    »Es ist für dich, Dad.«

2
    Als ich mich von meinem Stuhl erhob und in den Flur ging, fühlte ich mich wie ein Vertriebener, wie ein anderer Mann oder vielleicht auch derselbe in einer ähnlichen, aber vollkommen anderen Welt: der arme Malocher, der im Lotto gewinnt und eines Tages plötzlich merkt, dass der Reichtum sein Blut in Essig verwandelt hat.
    »Hallo?«, sagte ich in den Hörer.
    Ich erwartete einen Bekannten oder vielleicht auch eine Kreditkartenfirma, die wegen einer verdächtigen Lastschrift nachfragte. Niemand, mit dem ich geschäftlich zu tun hatte, kannte meine Privatnummer. Das Business, in dem ich arbeitete, war nichts für unschuldige Ohren.
    »Leonid«, sagte eine männliche Stimme, »hier ist Sam Strange.«
    »Warum rufen Sie mich zu Hause an?«, fragte ich, denn Strange war zwar der Laufbursche von Alphonse Rinaldo, einer der heimlichen Stützen des politischen und wirtschaftlichen Systems von New York, doch nicht einmal ihm durfte ich durchgehen lassen, mein Familienleben zu stören, wie immer das auch aussehen mochte.
    »Der Big Boss hat angerufen und gesagt, es ist ein Notfall«, sagte Strange.
    Sam arbeitete für den allem Anschein nach selbst ernannten Sonderbevollmächtigten der Stadt New York.Ich sage allem Anschein nach, weil Alphonse Rinaldo zwar definitiv mit dem Rathaus in Verbindung stand, aber niemand seine genaue Arbeitsplatzbeschreibung oder das volle Ausmaß seiner Macht kannte.
    Ich hatte ein paar dubiose Aufträge für den Mann erledigt, bevor ich beschlossen hatte, ehrlich zu werden. Doch auch wenn ich mich nicht mehr in kriminelle Aktivitäten verwickeln ließ, konnte ich es mir nicht leisten, ihn abzuweisen, ohne ihn anzuhören.
    »Was wollen Sie?«, fragte ich.
    »Er möchte, dass Sie Kontakt zu einer jungen Frau namens Tara Lear aufnehmen.«
    Sam sprach Rinaldos Namen nur sehr selten, wenn überhaupt je aus, als hätte er einen inneren Zensor wie die Drucker in alten Zeiten, die den Namen Gottes in Büchern nie ausschrieben.
    »Warum?«
    »Er will nur, dass Sie mit ihr sprechen und sich vergewissern, dass alles in Ordnung ist. Er hat mir aufgetragen, Ihnen zu sagen, dass er es als großen Gefallen ansehen würde.«
    Dem Sonderbevollmächtigten Rinaldo einen Gefallen tun zu können, war wie ein Sechser im Lotto mit Superzahl. Wenn ich nicht aufpasste, würde mein Blut sich in hoch verdichteten Raketentreibstoff verwandeln.
    Nicht zum ersten Mal fragte ich mich, ob ich meiner lasterhaften Vergangenheit je entkommen würde.
    »Leonid«, sagte Sam Strange.
    »Wann soll ich diese Frau gefunden haben?«
    »Sofort … heute Abend. Und Sie müssen sie auch nicht finden. Ich kann Ihnen ganz genau sagen, wo sie sich aufhält.«
    »Wenn Sie wissen, wo sie ist, warum sagen Sie es ihm nicht einfach, und er kann selbst mit ihr sprechen?«
    »Er möchte es so.«
    »Warum gehen nicht Sie?«
    »Er will Sie, Leonid.«
    Ich hörte, wie Twill im Esszimmer etwas sagte, verstand jedoch nicht, was. Seine Mutter und Shelly lachten.
    »Leonid«, sagte Sam Strange noch einmal.
    »Jetzt gleich?«
    »Unverzüglich.«
    »Sie wissen, dass ich mittlerweile
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