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Nemesis 03 - Alptraumzeit

Nemesis 03 - Alptraumzeit

Titel: Nemesis 03 - Alptraumzeit
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    *
     
    Wir hatten einen Mörder unter uns! Immer wieder kreiste der Gedanke in meinem Kopf und schien dabei ein lähmendes Gift abzusondern. Es fiel mir schwer, Judith und Maria zur Tür zu folgen, mit gesenktem Haupt und unfähig, etwas zu sagen. In der Küche war es totenstill, was der buchstäblichen Bedeutung dieses Wortes unangenehm nahe kam. Die wenigen Schritte, die uns vom Ausgang trennten, wenn wir der Blutspur folgten, die Stefans Weg hierher kennzeichnete, kamen mir vor wie Dutzende von Metern. Ich wäre gerne gerannt – schließlich befand ich mich mit einer Leiche in einem Raum, zum Teufel noch mal! –, aber ich konnte nicht.
    Meine Beine fühlten sich plötzlich unendlich schwer an, wie betäubt. Als ich die beiden Frauen fast erreicht hatte, vernahm ich plötzlich ein leises, schabendes Geräusch, das ich, aller Trägheit meiner Wahrnehmung zum Trotz, sofort als das Scharren einer Schublade im alten, verzogenen Küchenschrank ausmachte. Mitten in einem Schritt hielt ich inne und blickte über die Schulter zurück.
    »Ich kenne mehr als ein Dutzend Stellen am menschlichen Körper, wo ein Stich oder ein Schnitt ausreicht, um zu töten.« Ellen stand vor einer halb geöffneten Schublade und hielt uns in einer provozierenden Geste der Reihe nach ein scharf geschliffenes Tranchiermesser entgegen.
    Ich zweifelte nicht am Wahrheitsgehalt ihrer Worte; schließlich war sie Chirurgin und dazu ausgebildet, präzise Schnitte zu setzen – schon deshalb wäre sie wahrscheinlich eine der Letzten im Raum gewesen, die ich verdächtigt hätte, für das grausame Attentat auf Stefan verantwortlich zu sein. Trotzdem stellten sich die Härchen auf meinen Armen beim Anblick der schlanken, rothaarigen Ärztin mit der blitzenden, gut und gerne fünfzehn Zentimeter langen Klinge in der Hand, kerzengerade auf und blieben stehen, als wären sie mit extraschnell trocknendem Hard Gel fixiert. Aber der Schauer, der mich durchfuhr und sich nicht wie das Standardfrösteln, das mich im Laufe dieser Nacht schon so oft geschüttelt hatte, schnell wieder zurückziehen wollte, lag weniger in der tödlichen Waffe begründet, die Ellen in der Hand hielt, als in dem Ausdruck auf ihrem Gesicht.
    Ihre eiswasserblauen Augen blitzten bedrohlicher als alle blitzenden Küchenschneidegeräte der Welt zusammen: Sie funkelten irre. Tranchiermesser verloren normalerweise nicht die Kontrolle über sich. Ellen aber schien kurz davor zu sein.
    Und das war leider nicht nur der individuelle Eindruck, den meine längst bis an den Rande der Erträglichkeit geschundenen Nerven mir vermittelten. Auch Maria verlor deutlich an Farbe (sofern sie noch welche übrig gehabt hatte) und wich langsam zur Seite, bis der Türrahmen sie bremste, und Judith, die nur einen kleinen Schritt hinter mir stand, sog so scharf die Luft zwischen den Zähnen ein, dass ein pfeifendes Geräusch entstand.
    Lediglich Ed schien gänzlich unbeeindruckt. Er maß Ellen mit schräg gelegtem Kopf und einer lässig hochgezogenen Braue, was aber durchaus daran liegen konnte, dass er sie von seiner Position aus nur von der Seite sah.
    Ich machte einen vorsichtigen Schritt in ihre Richtung und hob beschwichtigend die Linke, während ich die Rechte ruhig, aber bestimmt nach dem Messer ausstreckte. »Daran zweifelt niemand«, sagte ich, so ruhig ich konnte. Ich konnte nicht so ruhig, wie ich wollte.
    Ellen war schließlich nicht die Einzige, der die Ereignisse der vergangenen Stunden und die seltsame, kalte Atmosphäre in diesem alten Klostergemäuer aufs Gemüt schlugen. »Keiner hat dich verdächtigt, okay? Gib mir das Messer.«
    Ellen maß mich mit einem Blick, der so frostig war, dass ich fast fürchtete, er würde Eisblumen aus der Tränenflüssigkeit auf meinen Hornhäuten gestalten, wenn ich ihm zu lange standzuhalten versuchte. Aber ich blieb tapfer und sah nicht weg. Ihre Hand schloss sich noch fester um den Plastikgriff des Messers.
    »Unsere Sportskanone da ist die Referenz für deine Fähigkeiten«, machte Ed meine Worte mit einem spöttischen Schnauben zunichte, während er mit dem Zeigefinger auf Stefans blutverschmierte Leiche auf dem Küchentisch deutete.
    Mein Herz tat einen schmerzhaften Sprung. Ich hielt unwillkürlich die Luft an und blickte erschrocken zu Ellen zurück, von der Ed mich einen winzigen Augenblick lang abgelenkt hatte. Verdammt, warum hatte es ausgerechnet Stefan erwischt? Warum ausgerechnet das einzige männliche Wesen neben mir, das wider aller
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