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Falsche Zungen

Falsche Zungen

Titel: Falsche Zungen
Autoren: Ingrid Noll
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streng verurteilt. (Mein eigener Mann war bereits geschieden, als ich ihn kennenlernte.) Deswegen traf es mich ziemlich überraschend, daß ich jetzt ganz persönlich etwas Ähnliches erlebte. Jens machte Zivildienst an unserem Krankenhaus. Er war zwar nicht achtzehn, sondern bereits zwanzig, aber auch bei diesem Alter hätte ich beinahe seine Mutter sein können. Ich beschloß, nie mehr Pauschalurteile über Liebende abzugeben, jeder einzelne Fall hatte unterschiedliche Aspekte. Speziell bei mir wäre ohne die gute Klara alles anders gelaufen.
    Jens war flink und angenehm. Wenn ich ihm eine Aufgabe übertrug, dann wurde sie exakt und vorbildlich ausgeführt. Auch die Patienten liebten ihn. Er trug weder eine Rastafrisur noch Ohrringe, weder Clogs noch umgedrehte Schirmmützen. Dafür besaß er einen kleinen gelben Hund, der nicht zu Hause, sondern im Auto die Mittagspause seines Herrn erwartete. Ich hatte Jens eines Tages ausführlich erklärt, worauf man beim Anlegen einer Infusion zu achten habe, als mein Blick auf die Uhr fiel. »Ach Gott«, sagte ich, »wir machen später weiter. Ich muß schnell heimflitzen, um meinen Hund auszuführen.«
    Genau das hatte er seinerseits auch vorgehabt. Ich begleitete ihn zu seinem zerbeulten Wagen, sah den gelben
    Köter und bot spontan an, zu mir zu fahren, Klara abzuholen und mit beiden Hunden einen Spaziergang zu machen. Es war erstaunlich, daß sich Klärchen und Macho sofort gut verstanden. Seite an Seite wie zwei Pferde im Geschirr liefen sie vor uns her, fast schien es, als würden sie sich genau wie wir angeregt unterhalten. Als die Mittagspause beendet war und Jens die Autotür öffnete, sprang Macho mit einem geübten Satz auf den Rücksitz. Zu meiner Verwunderung tat Klara es ihm nach. »Komm heraus«, lockte ich, »du mußt nach Hause!« Aber sie dachte nicht daran. Beide Tiere saßen nebeneinander auf der Bank und drehten uns sozusagen eine lange Nase.
    »Von mir aus kann sie liegenbleiben«, sagte Jens, »falls wir gemeinsam Dienstschluß haben.«
    So kam es, daß wir nun jeden Tag ein Mittagsgängel-chen zu viert unternahmen. Die Hunde schienen vollkommen zufrieden auf der haarigen grauen Wolldecke im R4 auf uns zu warten. Ich nahm nun, genauso wie Jens, das Dosenmahl für Klara mit ins Krankenhaus und fütterte sie nicht mehr zu Hause. Jene Kollegen, die ebenfalls auf dem Krankenhaushof parkten, waren gerührt über die beiden schlafenden Gesellen, die sich stets eng aneinanderkuschelten.
    Natürlich erzählte ich Oswald, daß ich den Hund von nun an mit zur Arbeit nahm. Im Grunde interessierte ihn das wenig. Für die Spaziergänge und das Fressen war ich zuständig. Aber auf einmal kamen ihm doch Bedenken.
    »Eigentlich soll Klara unser Haus bewachen«, meinte er, »dafür haben wir sie schließlich angeschafft.« Wahrscheinlich hatte er beruflich gerade mit einem Einbruch zu tun.
    »Maria ist jetzt täglich hier«, sagte ich, »die ist furchterregender als jeder Bluthund.«
    Beim Laufen sprachen Jens und ich gleichermaßen über Patienten und Hunde. Ich erfuhr, daß Macho - ähnlich wie Klaras Mutter - ein Findelkind war. Jens hatte ihn allerdings von einem Urlaub am Mittelmeer mitgebracht, wo er den kranken Welpen gefunden und aufgepäppelt hatte, um ihn schließlich heimzuschmuggeln. »Macho« bedeute auf spanisch so viel wie »männliches Tier«, erklärte mir Jens, während ich ihm klarmachte, warum man nicht »Herzversagen« als Diagnose auf den Totenschein schreiben dürfe, weil das sozusagen immer zutreffe.
    Eines Morgens erwartete mich Jens zwar wie stets am Parkplatz, aber der Gelbe war diesmal nicht dabei. Klara war sichtlich enttäuscht. »Meine Freundin hat den Hund zum Tierarzt gebracht, sie hat die ersten beiden Stunden frei. Macho wird geimpft.«
    Ich fuhr zusammen. Erstens hatte Jens eine Freundin -warum eigentlich nicht? -, und zweitens besuchte sie noch die Schule.
    In der Mittagspause ging ich etwas einsam mit der trauernden Klara spazieren. Ohne Machos Gesellschaft hatte sie ungern die lange Wartezeit verbracht. Jens hupte plötzlich hinter uns. Er fahre jetzt heim, den Hund holen. Ohne zu fackeln, stiegen wir dazu. Ich war äußerst neugierig auf seine Wohnung.
    Jens wohnte nicht mit seiner Freundin zusammen, aber Macho war bereits anwesend, also mußte sie einen Schlüssel besitzen. Ich war gerührt, denn ich befand mich plötzlich in einem Zimmer, das mir die Jugendlichkeit seines Besitzers deutlich vor Augen führte. Regenwaldposter an
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