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Falsche Zungen

Falsche Zungen

Titel: Falsche Zungen
Autoren: Ingrid Noll
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fühlte ich mich gedemütigt und verletzt. Aber Felice zählte die Münzen und kam zu einem erstaunlichen Ergebnis. »Ab jetzt soll dein Bart wachsen, wachsen, wachsen!« rief er. »Wehe, du rückst ihm je wieder mit einer Schere zu Leibe! Wer hätte auch geahnt, daß dein Pelz eine Goldgrube ist!« Zum ersten Mal nach langer Zeit küßte er mich, wobei uns beiden die Tränen herunterliefen.
    Wir wurden bekannt und verdienten auf allen Märkten in der Region, mal mehr, mal weniger, so daß wir es fast zu bescheidenem Wohlstand brachten. Inzwischen gewöhnte ich mich ein bißchen an meinen neuen Beruf und starrte einfach so lange zurück, bis die Gaffer sich ihrerseits schämten.
    Ich glaube, es war im Jahr 1631 als man mich nach Neapel brachte. Der Vizekönig Ferdinand II. hatte den berühmten Jusepe de Ribera damit beauftragt, mich zu porträtieren.
    Angst hatte ich schon davor, aber ich fühlte mich auch ein wenig geehrt.
    Bei der ersten Sitzung machte der Maler nur Skizzen, die er später seinem Gönner vorlegen wollte. Ribera, den man Lo Spagnoletto nennt, weil er seinen seltsamen spanischen Akzent nicht ablegen kann, ist ein eher schamhafter Mann, vielleicht zehn Jahre jünger als ich. Nie wagte er es, mit mir zu plaudern oder mich um ein Lächeln zu bitten, mit großem Ernst konzentrierte er sich auf die Arbeit. Seine Farben passen zu meiner Stimmung, sie sind gedämpft, von erdiger Tönung und wie mit gemahlenem Rötel überpudert. Nur meine gelichtete Stirn weist einen leichten Glanz auf.
    Am vierten Tag sagte er: »Hör zu, Barbuda! Der Vizekönig war gestern abend im Atelier. Er ist nicht zufrieden, denn auf meinem Bild siehst du aus wie ein Mann in Frauenkleidern. Mein Gönner meint, die Betrachter sollten schließlich staunen, daß die Natur ein Wunder wie dich zustande gebracht hat. Aber niemand kann verlangen, daß du ohne Kleider Modell stehst.« Er sagte es tief besorgt, und ich sah ihm an, wie er litt. Ein negatives Urteil seines Auftraggebers konnte das Ende seiner Karriere bedeuten.
    »Ein Wunder der Natur? Wahrscheinlich hat mich der Leibhaftige so übel entstellt«, sagte ich bitter.
    »Nein«, meinte er, »daran glaube ich nicht. Du leidest an einem Gebrechen, das unsere Ärzte nur noch nicht kennen. Als Maler habe ich einen scharfen Blick und sehe, daß du unheilbar krank bist.«
    Ribera hatte zwar eine erstaunlich hohe Meinung von seinen Fähigkeiten, war aber der erste Mensch, der mich verstand. Schon seit langem hatte ich das Gefühl, daß meine zunehmende Verwandlung eine bösartige Ursache hatte.
    »Auf den Märkten habe ich schon häufig meine Brust entblößen müssen«, sagte ich leise, »weil man mein wahres Geschlecht ja sonst nicht erkennen könnte. Eigentlich möchte ich es nie wieder tun, vor allem jetzt nicht, weil ein Gemälde für alle Ewigkeit meine Schande festhalten würde.«
    »Auf keinen Fall will ich dein Unglück noch vergrößern«, sagte er, »aber vielleicht könntest du mir gestatten, einen einzigen Blick auf deinen Busen zu werfen.« Ich tat ihm den Gefallen, denn ich wußte sehr wohl, daß er ein Mann von Anstand war, der mich bisher mit großem Respekt behandelt hatte.
    Meine Brust ist zwar welk und schlaff, wie es einer gebrochenen Frau von 52 Jahren zusteht, aber dennoch ein untrüglicher Beweis meiner Weiblichkeit. Ribera schüttelte dennoch den Kopf. »So etwas darf man gar nicht malen! Der gesamte Klerus würde kopfstehen.« Damit hatte er mich aber bei meiner Ehre gepackt. »In meiner Jugend«, sagte ich, »war auch meine Brust voll und rund und hat drei Kinder monatelang ernähren können.«
    Meine Worte schienen den Maler für einige Sekunden sprachlos zu machen, dann knallte er den Pinsel mit solcher Wucht an die Wand, daß die sepiabraune Farbe in alle Ecken spritzte. »Fantästico! Fabuloso!« rief er triumphierend. »Das ist die Lösung! Du nimmst einen Säugling auf den Arm, und eine nackte Brust ist plötzlich keine Sünde mehr!«
    Jusepe de Ribera setzte mir ein gesticktes Käppchen auf den Kahlkopf und verpaßte mir den würdigen Ausdruck eines Gelehrten. Er malte mich in meinen besten Kleidern, ohne daß ich meine Jacke aufzuknöpfen brauchte, denn es war kein Problem für ihn, eine fast kreisrunde Fläche auszusparen. Als sein Kunstwerk schon halb vollendet war, legte man mir das Kind meiner To chter in die Arme, das vergeblich nach einer Milchquelle suchte. Erst nachträglich und allzu mittig setzte der Maler eine prall gefüllte Mutterbrust in
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