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Falsche Zungen

Falsche Zungen

Titel: Falsche Zungen
Autoren: Ingrid Noll
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mit ihr ganz gut bekannt, und anfangs vermochte sie mich zu trösten. Sie hatte schon von anderen Frauen gehört, die bereits vor dem vierzigsten Lebensjahr eine Veränderung durchmachten und oft unter zunehmender Gesichtsbehaarung zu leiden hatten. Eine harmlose Laune der Natur, die angeblich nichts mit einer Krankheit oder einer göttlichen Prüfung zu tun hatte. Die Hebamme, Cecilia heißt sie, lieh mir ihren kostbaren Handspiegel und eine zierliche Schere. Jeden Morgen begann ich, an mir herumzuzupfen und zu -schneiden, kam aber bald nicht mehr nach.
    Mein Gemahl, Felice de Amici, konnte sich auch nicht so recht mit meiner Vermännlichung abfinden und befragte seinerseits einen Bader und Zahnreißer, der auf dem Markt Tinkturen feilbot. Stolz kam er mit einer teuren Salbe aus Murmeltierfett nach Hause, die schauerlich stank und überhaupt keine Wirkung zeigte.
    Ich versuchte es mit kirchlichem Beistand. Der Pfarrer verordnete mir eine Wallfahrt, und ich pilgerte vergebens zur Madonna dei Miracoli.
    Auch Cecilia brachte sich wieder ins Spiel und kochte eigenhändig ein Gebräu aus Eidechsenschwänzen, Wasserpastinaken, Seidelbast und Brechnuß. Tagelang war ich krank von dem Zeug, nur meinem Bart schien die Roßkur zu bekommen. Als ich wieder auf den Beinen stand, wäre ich indes lieber tot gewesen.
    Inzwischen hatte ich nämlich eine traurige Berühmtheit in unserem Ort erlangt. Die Gassenjungen johlten, wenn ich auftauchte, die Mädchen riefen: »Schnell weg, die Hex’ kommt!«
    Auch im Wirtshaus war ich anscheinend ein bevorzugtes Thema und Anlaß zu derben Späßen. »Wißt ihr schon, daß Magdalena und Felice nicht mehr zu unterscheiden sind? Die gute Frau ist über Nacht zum Zwilling ihres Mannes geworden.«
    Ein Fremder, der von mir gehört hatte, klopfte eines Tages etwas zaghaft an unsere Tür und bat meinen Mann, mich anschauen zu dürfen. Felice hat zwar immer zu mir gehalten, aber seine Geduld ging allmählich zu Ende.
    »Von mir aus könnt Ihr sie sehen, aber nur wenn Ihr dafür bezahlt«, sagte er und verlangte zwecks Abschreckung eine astronomische Summe. Ob man es nun glaubt oder nicht, der Fremde aus Neapel öffnete seinen Beutel bereitwillig, ohne den Preis herunterzuhandeln. Da wir im Laufe der Zeit ja viel Geld für meine Heilung ausgegeben hatten, dachte mein Mann wohl: Warum nicht, wenn der Kerl so dumm ist.
    Der Neugierige trat also ein, verbeugte sich vor mir und setzte sich zu uns an den Tisch. Er sah mich lange und kritisch an und meinte dann zu Felice, er brauche einen Beweis, daß ich tatsächlich eine Frau sei. Mein Mann überlegte eine Weile, schüttelte aber dann den Kopf.
    Angesichts des hohen Betrags, den der Neapolitaner für die Besichtigung gezahlt hatte, bekam ich Gewissensbisse. Mußte man ihm nicht etwas mehr anbieten als einen harten Küchenstuhl? Und war ich meinem Mann, der stets für mich aufkommen mußte, nicht ebenfalls etwas schuldig? Ganz langsam löste ich die Spangen meines Kleides und ließ den Träger des Untergewandes zur Seite gleiten. Dann griff ich unter die Stoffbahnen und nestelte meine linke Brust hervor. »Soll es auch noch die rechte sein?« fragte ich.
    Doch dem Fremden hatte es vor Staunen die Sprache verschlagen.
    Auch mit meiner Fassung war es vorbei. Weinend verließ ich den Raum, hörte allerdings noch, was der Neapolitaner sagte. Mein Fall werde bestimmt den spanischen Vizekönig interessieren, behauptete er, das sei nämlich ein Gelehrter, der sich oft und gern mit den vielfältigen Wundern der Natur beschäftige.
    Danach hörten wir nichts mehr von unserem Besucher, aber durch ihn war Felice auf eine fatale Idee gekommen. Am nächsten Markttag mußte ich mich hinter ihn auf das Maultier schwingen und mit nach Aquila reiten. Dort ei-nigte er sich mit dem Quacksalber, daß ich in dessen Zelt zur Schau gestellt werden durfte.
    Es wurde eine qualvolle Premiere für mich, auch Felice litt. Unser ganzes Leben lang hatten wir nichts als Plackerei und kaum Zeit für Vergnügungen gehabt, den Rummel auf dem Markt empfanden wir als ungewohnt, ja bedrohlich. Zudem waren wir beide keine Menschen, die gern im Rampenlicht standen, und Leute aus der Stadt mochten wir sowieso nicht besonders.
    Trotzdem. Felice wurde irgendwie vom Teufel geritten. Wenn er schon als lächerlicher Trottel galt, der mit einer bärtigen Frau zusammenlebte, so wollte er wenigstens daran verdienen.
    Als wir abends wieder zu Hause waren, mochte ich mit niemandem mehr reden, so tief
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