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Prinzessin

Prinzessin

Titel: Prinzessin
Autoren: John Aysa
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Kapitel 00
    Die Droole fressen.
    Sie kann die Geräusche hören, ohne etwas zu sehen. Das Mahlen der Zähne, das Schmatzen, das Kauen. Die Klauen, die am Körper zerren und Brocken von Fleisch aus dem Rumpf reißen.
    Sie hört die schmierigen, glitschigen Laute des säurehaltigen Speichels, der das Gewebe mürbe macht, die Schlürfgeräusche, mit denen der klumpige Fleischschleim in den Verdauungstrakt gesogen wird.
    Die Geräusche verursachen ihr Übelkeit. Am liebsten würde sie sich übergeben, ihr Essen ausspucken. Stattdessen verharrt sie reglos an der Stelle, an der sie sich befindet. Sie unterdrückt den Brechreiz und wartet.
    Wartet darauf, dass die Droole gefressen haben, träge und müde sind, mit schwerem Magen einschlafen. Wartet, bis sie sich leise, ganz leise in Bewegung setzen und davonschleichen kann. Raus aus dem Gefahrenbereich.
    Hoffentlich bald.
    Regen tropft die zum nachtschwarzen, wolkenverhangenen Himmel hochragenden Stockwerke bis zu ihr herab. Mitten durch den zerfallenden Dachstuhl, die geborstenen Etagen, in denen Treppen, Böden, Wände fehlen, wo Schimmel und Verfall hausen.
    Der traurige Rest einer Zivilisation, die sich den Lauf einer Pumpgun in den Arsch gesteckt und den Abzug betätigt hat.
    Tropfen, die auf ihr Haar fallen und bis zur Kopfhaut vordringen, dort kribbeln und jucken, nerven sie, wecken in ihr den unbändigen Wunsch, sich zu kratzen.
    Tropfen, die ihren Nacken hinabkullern, kitzeln, verschwinden im Kragen, nässen ihr Gewand unter dem Regenschutz.
    Droole fressen. Das ist nicht ihre erste Begegnung mit diesen Kreaturen, die es verstehen, lautlos durch die Nacht zu wandern, mit Klauen, Zähnen und dem Instinkt von Raubtieren bewaffnet.
    Prädatoren der neuen Welt. Noch sind sie nicht überall anzutreffen, noch sind sie nicht in der Königsklasse der Jäger angelangt. Aufzuhalten ist ihr Aufstieg jedoch nicht mehr.
    Sie hat alle Begegnungen unversehrt überstanden, weil sie es schafft, direkte Konfrontationen zu vermeiden. Sie weiß, wie sie sich verhalten muss, wann sie gehen kann. Sie kennt sich aus. Sie hat überlebt.
    Eine Bewegung zu ihrer Rechten. Eine ahnungslose Gestalt.
    Sie verdreht die Augen, versucht zu erspähen, welch närrische, sorglose, nichts ahnende Kreatur da unterwegs ist. Sie bewegt den Kopf eine Winzigkeit, geräuschlos, erstarrt.
    Oh nein. Eine Frau – mit Sprössling. Drei, vier Jahre alt. Brav, so leise, wie es ein Kleinkind in diesem Alter nur sein kann. Aber bloß ein Kind. Und seine Mutter. Verzweifelt? Hungrig? Dumm?
    Schwer zu sagen. Verzweiflung, Hunger und Dummheit sind gute Gründe, die Regeln zu brechen. Verständlich, tödlich.
    Verschwindet , schreit eine Stimme in ihrem Kopf, kein Laut kommt über ihre Lippen. Was hast du draußen verloren, Frau? Was hat dich aus deinem Versteck getrieben?
    Die Nacht hat ihren Tiefpunkt erreicht, und es regnet in Strömen. Das ist die gefährlichste Stunde, um unterwegs zu sein, weißt du das nicht? Verschwinde, lauf, bring dein Kind in Sicherheit. Scheiße, Weib, dein Balg!
    Sie weiß, dass es zu spät ist. Zeit, alle Hoffnung fahren zu lassen. Wenn sie den Trampel gehört hat, dann die Droole ebenfalls. Deren Gehör ist deutlich besser als jenes der Menschen. Die Fressgeräusche verstummen.
    Die Killerkreaturen haben Witterung aufgenommen. Die Entscheidung über die Zukunft von Mutter und Nachwuchs ist gefallen. Das Schicksal hat den Hobel angesetzt und wird die beiden von der Oberfläche entfernen. Ritsch, ratsch , weg. Ihr Leben ist verwirkt. Eventuell übersehen sie das Kind. Ach, welch närrische Illusion. Seit wann entgeht diesen Kreaturen Futter?
    Einer aus der Meute ist unbeherrscht. Ein Jungtier. Ein unterdrücktes Knurren entfährt ihm, ein Geräusch, das die Frau gehört hat. Sie schreckt auf, ihre Augen weiten sich. Panik schießt ein. Erst jetzt dämmert ihr, wie töricht sie war.
    Mühsam nimmt die Mutter ihr Kind auf den Arm, kämpft kurz mit den Kleiderschichten um einen soliden Griff und beginnt zu hasten.
    Nur behäbig zu Beginn, zunehmend temporeicher, als die Muskulatur warm und geschmeidig wird.
    She presst die Augen zusammen, um die aufsteigende Feuchtigkeit zurückzuhalten. Sie wird nicht weinen. Unter keinen Umständen. Fressen und gefressen werden, das uralte Spiel, nimmt seinen Lauf. Das ist alles. Die einzige Neuerung daran ist, dass der Mensch nicht mehr an der Spitze der Nahrungskette steht. Das Leben, wie es nun mal ist. Pur, unverfälscht und scheinbar grausam in seiner
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