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Falsche Zungen

Falsche Zungen

Titel: Falsche Zungen
Autoren: Ingrid Noll
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ein. »Das war nicht korrekt, dein Herrchen beißen zu wollen«, sagte ich, »aber ich hätte gelegentlich auch Lust dazu. Gleich treffen wir unsere heimlichen Liebsten, aber du hast genausogut einen Fehlgriff getan wie ich - bist ja beinahe doppelt so groß wie er.«
    Hunde sind großzügiger als wir, dachte ich mir. Weder Rasse noch Hautfarbe, weder Alter noch Größe, weder Bildung noch Besitz und schon gar nicht der soziale Status hindern sie an der Liebe. Man kann viel von ihnen lernen. Oswald war eifersüchtig auf Klara, obgleich er das nie zugegeben hätte. Seit sie erwachsen war, hielt sie mich zwar nicht mehr für ihre Mutter, aber doch für eine Art große Schwester. Wenn wir allein waren, saß sie neben mir auf dem Sofa. Einmal nahm sie sogar in meinem Beisein einen Keks aus der Schale, aber nur einen einzigen und den auf überaus zierliche Art mit spitzen Zähnen.
    »Klara, das geht nicht«, sagte ich, »du bist nun einmal kein Mensch, auch wenn es dir so vorkommt.« Mir schien, sie entdeckte erst durch ihre Freundschaft mit Macho, daß sie ein Hund war.
    Mein Mann pflegte, wenn er ärgerlich auf Klara war, zu sagen: »Wie der Herr, so’s Gescherr.« Rein äußerlich war da etwas dran: Wir waren beide langbeinig, schlank, dunkelhaarig. Im Charakter waren wir uns vielleicht sogar noch näher - freundlich, aber unbeirrt unsere Ziele verfolgend. Macho dagegen sah seinem Herrn gar nicht ähnlich. Für einen kleinen Hund war er erstaunlich stämmig, die kurzen Haare waren glatt, das Benehmen ließ gelegentlich zu wünschen übrig. Macho mußte im Freien alle drei Meter das Bein heben, zeigte seiner Freundin Klara reichlich penetrant, daß er ein Rüde war, und erwies sich als leidenschaftlicher Mäusejäger. Jens war feiner und sanfter. Er wollte demnächst Psychologie studieren.
    Oswalds fade Tochter lud ihren Vater zur Abi-Fete ein. »Komm doch mit«, bat er.
    Da seine Exfrau in einer Kurklinik weilte und mit Sicherheit nicht auftauchen konnte, ließ ich mich überreden, obgleich mir nicht ganz wohl dabei war. Zu Oswalds Kindern hatte ich eigentlich kein Verhältnis, und die Eltern der anderen Schüler waren sicher wesentlich älter als ich.
    Aus der Aula dröhnte uns Musik entgegen, ein besonders begabter junger Mann brillierte als Ansager. Nicht ohne Appetit sah ich, daß es Nudelsalat wie bei meinen ersten Geburtstagsfeiern gab, aber wahrscheinlich war das ein Entgegenkommen an die vielen Gebißträger unter den Gästen. Oswalds Tochter Désirée bestellte einen Walzer und tanzte mit ihrem Papa, weil sich sonst keiner für sie interessierte. Mit dem Nudelteller in der Hand stand ich am Rande der Ereignisse, als ich Jens erspähte. Offensichtlich hatte seine Freundin ebenfalls Abitur gemacht. Zur Feier hatte ich mein rotes Carmenkleid angezogen, und plötzlich übermannte mich die dazugehörige südländische Leidenschaft. Ich griff mir meinen Jens, achtete nicht auf die dumme kleine Schnecke an seiner Seite und begann einen wilden Tanz, den mir wahrscheinlich weder Désirée noch Oswald oder Jens zugetraut hätten. Meine dunklen Haare klatschten uns um die Ohren, und wir gerieten dank mei-ner athletischen Arme sehr eng aneinander. Irgendwann standen wir zwischen knutschenden Schülern im Pausenhof und küßten uns. Oswald war wahrscheinlich längst heimgefahren.
    Als ich endlich zu Hause war, schnupperte Klara mit Interesse an mir herum. Dann zeigte sie mir durch Kratzen an Oswalds Arbeitszimmer, daß er dort schlief. »Okay«, sagte ich, »dann darfst du in sein Bett, aber bitte in aller Diskretion.«
    Klara ließ es sich nicht zweimal sagen. Mich beschäftigte in jener Nacht weniger die Reaktion meines Ehemannes als die nächste berufliche Begegnung mit Jens. Im weißen Hosenanzug, mit strengem Zopf und Hornbrille war ich dann wieder die Frau Doktor - sollte ich mich auch als solche benehmen?
    Aber erst einmal war Sonntag morgen, und Oswald war sauer: »Wie kannst du mich vor meiner Tochter so bloßstellen.«
    »Mein Gott«, sagte ich, »wann hast du das letzte Mal mit mir getanzt? Schließlich bin ich noch zu jung, um mit den Müttern dieser Kids übers Abspecken zu plaudern.«
    Die Anspielung auf sein Alter und meine Jugend war ihm verhaßt. Mir fiel dabei ein, daß ich rein rechnerisch genau zwischen Oswald und Jens stand.
    »Wer war überhaupt dieser abstoßende Mohrenknabe?« wollte mein Ehemann wissen. »Désirée kannte ihn nicht.«
    Ich war beleidigt. Jens war mindestens so schön wie der junge
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