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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe
Autoren: Tess Gerritsen
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    Galapagos-Graben 0, 3 Grad Süd / 9 0, 3 Grad West
    Er glitt am Rand des Abgrunds entlang.
    Unter ihm gähnte die schwarze Weite einer kalten Unterwasserwelt, zu der die Sonne nie durchgedrungen war und in der das flüchtige Funkeln von Leuchtorganismen die einzige Lichtquelle war. Dr. Stephen D. Ahearn lag ausgestreckt mit dem Gesicht nach unten in der eng anliegenden Mulde der
Deep Flight IV,
während sein Kopf in der transparenten, kegelförmigen Acrylnase des Bootes ruhte. Er hatte das berauschende Gefühl, ganz und gar losgelöst durch die Weiten des Alls zu fliegen. In den Lichtkegeln der an den Flügeln angebrachten Scheinwerfer sah er den sanften, unablässigen Regen aus organischen Abfällen, die langsam aus den lichtdurchfluteten Wasserschichten hoch über ihm herabsanken. Es handelte sich um abgestorbene Protozoen, Urtierchen, die durch Tausende Meter Wasser auf ihre endgültige Ruhestätte am Meeresboden zutrieben.
    Während er durch den lautlosen Niederschlag aus toter Materie dahinglitt, steuerte er die
Deep Flight IV
am Rand des Unterwasser-Cañons entlang, den Abgrund immer backbords, unter sich den Grund des Plateaus. Obwohl die Sedimentschicht scheinbar unfruchtbar war, ließen sich doch überall Anzeichen von Leben entdecken. Umherstreifende Kreaturen, die sich jetzt sicher unter ihrer schützenden Sedimentdecke verbargen, hatten Abdrücke und Furchen im Meeresboden hinterlassen. Aber auch Zeugnisse menschlicher Zivilisation waren zu finden. Er sah eine verrostete Kette, die sich um einen verloren gegangenen Anker schlängelte, eine halb im Schlamm versunkene Limoflasche. Geisterhafte Überreste der fremden Welt dort oben.
    Urplötzlich bot sich ihm ein verblüffender Anblick. Er hatte den Eindruck, auf einen Unterwasserhain aus verkohlten Baumstümpfen gestoßen zu sein. Was er sah, waren so genannte Schwarze Raucher, Röhren oder Schlote von sechs Metern Durchmesser, entstanden durch aufgelöste Minerale, die aus der Erdkruste hervorquollen. Mit den beiden Steuerknüppeln lenkte er die
Deep Flight
behutsam nach steuerbord, um den Schloten auszuweichen.
    »Ich habe die hydrothermale Spalte gefunden«, sagte er. »Geschwindigkeit zwei Knoten, Schwarze Raucher backbords.«
    »Wie fährt es sich?« Helens Stimme drang durch das Rauschen in seinem Kopfhörer.
    »Prächtig. So einen Schlitten hätte ich auch gerne.«
    Sie lachte. »Dann machen Sie sich darauf gefasst, einen ziemlich fetten Scheck auszustellen, Steve. Haben Sie das Knollenfeld schon entdeckt? Es müsste direkt vor Ihnen sein.«
    Ahearn war einen Moment lang still, während er in die trüben Wassermassen hinausspähte. Dann sagte er: »Ich sehe sie.«
    Die Manganknollen glichen über den Meeresboden verstreuten Kohleklumpen. Entstanden aus Mineralien, die sich um Steine oder Sandkörner herum abgelagert und dabei seltsame, geradezu bizarre Formen angenommen hatten, waren sie eine höchst begehrte Quelle von Titan und anderen Edelmetallen. Aber er schenkte den Knollen keinerlei Beachtung. Er war auf der Suche nach einem weitaus wertvolleren Schatz.
    »Ich steuere jetzt in den Cañon hinein«, sagte er.
    Mit den Steuerknüppeln lenkte er die
Deep Flight
über den Rand des Plateaus hinweg. Er erhöhte die Geschwindigkeit auf zweieinhalb Knoten, und die Flügel, die so konstruiert waren, dass sie den umgekehrten Effekt eines Flugzeugflügels hatten, zogen das U-Boot nach unten. Er begann den Abstieg in die Schlucht.
    »Elfhundert Meter«, zählte er mit. »Elfhundertfünfzig …«
    »Achten Sie auf den Sicherheitsabstand. Es ist eine enge Spalte. Überprüfen Sie regelmäßig die Wassertemperatur?«
    »Sie steigt langsam an. Liegt jetzt bei vierzehn Grad.«
    »Ist noch ein gutes Stück bis zur Spaltenöffnung. Noch zweitausend Meter, und es wird so richtig heiß.«
    Ein Schatten schoss plötzlich direkt vor Ahearns Gesicht vorbei. Er zuckte zusammen und gab dabei dem Steuerknüppel unwillkürlich einen Ruck. Das Boot rollte nach steuerbord, es gab ein dumpfes metallisches Dröhnen, und der harte Aufprall an der Wand des Cañons ließ den gesamten Rumpf erzittern.
    »Herr im Himmel!«
    »Status?«, rief Helen. »Steve, wie ist Ihr Status?«
    Er hyperventilierte, in Panik schlug sein Herz gegen die Mulde, in der er lag.
Der Rumpf! Habe ich den Rumpf beschädigt?
Durch das Rasseln seines eigenen Atems horchte er auf das Ächzen des nachgebenden Stahls, auf den tödlichen Schwall eindringenden Wassers. Er befand sich eintausendeinhundert
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