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Falsche Zungen

Falsche Zungen

Titel: Falsche Zungen
Autoren: Ingrid Noll
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er bloß nicht so unpraktisch wäre. Alles muß man ihm dreimal sagen. In seiner großen Güte wird er beim Krämer beschissen, läßt sich das klapprigste Kamel andrehen und gibt jedem Bettler ein Almosen, wo wir doch selbst nichts als Linsen zu essen haben. Unsere Wohnung in Nazareth verdient diesen Namen kaum.
    Joseph hat in den felsigen Boden eine Höhle gehauen, in der es von oben tropft, von vorne zieht und der Boden völlig uneben ist. Die Haustür aus Zedernholz hat sich so verzogen, daß unser Esel den Kopf durch die Ritzen stecken kann. Jede Kerze geht aus, alle Bettdecken werden klamm, das Essen schimmelt. Die Nachbarn haben es immerhin geschafft, daß das Wasser abfließt und gute, trockene Luft einströmt. Ach Joseph! Angeblich soll er auf Zimmermann studiert haben, aber von einem Geodreieck hat er noch nie etwas gehört.
    Wenn ich auch eine Volkszählung bloß wegen der blöden Steuererhebung für völlig überflüssig hielt, so war mir die Reise nach Bethlehem in Judäa nicht unwillkommen, denn ich hatte absolut keine Lust, in diesem feuchten Loch meine Tochter zu bekommen. Ein hübsches Hotel mit Bedienung war ganz nach meinem Gusto. Hebammen gibt es schließlich überall. Ja, nun ist es heraus. Ich rechnete selbstverständlich mit einer Tochter. Susanne sollte sie heißen. Mit Jungs konnte ich nie viel anfangen, ihre dämlichen Kriegsspiele mit hölzernen Streitäxten sind mir verhaßt. Kleine Mädchen kann man so viel hübscher anziehen, ägyptisches Leinen in blauem und rotem Purpur oder Karmesin zu winzigen Tuniken verarbeiten! Mit Mädchen kann man Safrantörtchen und Sesamkringel bak-ken, Puppenkleider weben und Blumenkränzchen flechten. Die lästige Beschneidung entfällt. In meiner damaligen Naivität kam ich gar nicht darauf, daß sich ein höherer Herr als erstgeborenes Kind auf keinen Fall ein Mädchen wünscht.
    Als wir nach Bethlehem aufbrachen, bereitete ich unser übliches Frühstück aus Oliven und Brot und ließ die Zwiebeln weg, die mir angesichts meines hochgewölbten Leibes nicht mehr bekamen. Joseph kleckerte noch Öl auf die Strohmatte, aber das war mir egal. Dann wurde ich auf den Esel gepackt, und schon war die Katastrophe vorhersehbar. Wieviel komfortabler wäre ein Maultier gewesen! Unser Esel - er heißt Tobias - ist ein Musterexemplar an Dummheit. Bisher hatte er einzig als Lasttier gedient, nun mußte er es sich gefallen lassen, daß ich von Joseph hinaufgehievt wurde. Er warf mich einfach ab - man bedenke, wie gefährlich das war! Ich war schließlich im achten Monat. Wäre Joseph nicht ganz so tölpelhaft gewesen, er hätte mit dem Vieh geübt bis zur Perfektion.
    Der Ritt auf dem schwankenden Esel auf holprigen Karawanenwegen, mein ständiger Durst, die fortgeschrittene Schwangerschaft - das alles führte dazu, daß ich häufig trinken oder ein Gebüsch aufsuchen mußte. »Joseph, ich muß mal!« waren auf dieser Reise meine häufigsten Worte.
    Nie gehorchte er sofort. Hier könne man schlecht anhalten, da sei kein Schatten oder es wüchse kein einziger Busch in der Nähe. »Warte bis zur nächsten Quelle, der Esel muß dringend getränkt werden!«
    Abends wurde gekocht. Wer, wenn nicht ich, hat Feuer gemacht und Wasser geholt? Joseph - zugegebenermaßen mußte er zu Fuß gehen - war immer derart erschöpft, daß er zu keinem Handgriff mehr fähig war. Wenn er kochen sollte, kramte er aus der Satteltasche ein paar Datteln heraus, und das war’s. In dieser Hinsicht bedauerte ich es schon, daß man mir keinen jüngeren Kerl verordnet hatte.
    Und dann kam die Pleite mit den Herbergen. Alles belegt, und bei mir setzten die Wehen vorzeitig ein. Kein Wunder, wenn man täglich acht Stunden lang auf einem Esel geritten ist! Bethlehem, dieses Kaff mit kaum 1000 Einwohnern, liegt 770 m über dem Meeresspiegel, die letzte Strecke war eine Tortur.
    Es war ja noch ein Glück, daß wir auf den Stall stießen, denn ich befürchtete schon, das Kind auf dem Esel kriegen zu müssen, und das ausgerechnet am Heiligen Abend! Ich warf mich aufs Stroh, stöhnte und kommandierte gleichzeitig den Joseph herum. »Feuer machen, Wasser aufsetzen, Krippe putzen, den fremden Ochsen anbinden!« Unser Esel schrie übrigens viel lauter als ich, er fürchtete sich vor dem Ochsen.
    Mein Gott, wenn die Hirten nicht gekommen wären, Joseph hätte es nie allein geschafft. Immerhin waren sie erfahrene Geburtshelfer - auf veterinärem Sektor - und hatten schon mal das Wort »abnabeln« gehört. Aber keiner
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