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Falsche Zungen

Falsche Zungen

Titel: Falsche Zungen
Autoren: Ingrid Noll
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Immer frieren. Keine Heizung. Betonboden. Ein altes Betttuch als Gardine. Drei Mainzelmännchen und ein paar Fotos als Erinnerung an meine deutschen Freunde. Lilly hat wenigstens eine Stereoanlage von ihrem Siemens-Mann.
    Seit ich die Badewannen in Hotels und Ausländerwohnungen kenne, weiß ich, was das Ziel meines Lebens ist. Du bist damit aufgewachsen: Kein Tag, an dem du nicht mit warmem Wasser im Winter oder kühlem im Sommer geduscht hast. Wenn mein blonder Freund seine Wohnung verlassen hat, mache ich es mir gemütlich: grüne und meerblaue Badezusätze aus Deutschland, französische Seife, amerikanische Bodylotion. Während ich mich wohlig aale, weichen meine Unterwäsche und meine Seidenbluse in einem Eimer mit deutschem Persil ein.
    In einem halben Jahr muß Hans-Dieter wieder zurück nach Bremen. »Komm doch einfach mit!« sagt er scherzhaft. Doch ich kriege niemals ein Visum, es sei denn, er heiratet mich.
    Gerade du hast es nötig, von Liebe zu reden. Die eine liebt einen Mann, die andere eine Wanne. Bei uns in China waren Ehen immer Zweckbündnisse. In meinem Fall kriegt er den exotischen Sex und ich die Badewanne, ein faires Geschäft. Du ziehst deinen Mann doch ganz anders über den Tisch: Hast Sex, soviel du willst - und er putzt dir noch dazu die Wanne.
    Goldene Löffel
    Früher, als Josefa noch lebte, sah es in Cala Barca anders aus: Zwischen Felsküste und Kiefernwald standen nur wenige Villen reicher Ausländer. Josefa putzte die Häuser von fünf Franzosen und einer reichen Gräfin aus Frankfurt, stritt mit dem Gärtner, wenn sie fand, daß er zu schlampig gegossen hatte, und hielt Kontakt mit dem Gasprüfer und anderen kommunalen Abgesandten. Kurz gesagt, es war ein Vertrauensposten, denn die Herrschaften waren ja die meiste Zeit des Jahres nicht anwesend.
    So umsichtig wie ihre Vorgängerin war Pilar nicht, schließlich hatte sie noch anderes im Kopf, doch wuchs ihre Achtung vor Tante Josefa postum Jahr für Jahr. Wenn die Gräfin Weihnachten auf Mallorca feierte und ihre deutsche Verwandtschaft anrückte, hatte es Streß für ihre Tante gegeben. Nun hätte man erwartet, daß wenigstens die Trinkgelder reichlich flossen, aber davon konnte nicht die Rede sein. Man ließ sich bedienen und es dabei bewenden. Alle fünf Jahre fand im Sommer ein Klassentreffen statt, auf dem sich die zehn eingeladenen Veteraninnen kaum anders benahmen. Schon Tage vor dem Ereignis ließ sich die Gräfin massieren und einölen, um als Schönste unter den alten Krähen zu glänzen.
    Irgendwann mußte es selbst der fleißigen Josefa zuviel geworden sein. Als wieder einmal zwölf oder mehr Personen die Feiertage hier verbrachten, als eine deutsche Köchin eine deutsche Gans zu deutschem Rotkohl bereitete, hatte sie sich derartig aufgeregt, daß sie einen Herzinfarkt bekam und starb.
    Nach ihrem Tod erbte Pilar nicht nur Josefas Häuschen, sondern übernahm auch ihre Aufgaben und putzte bei denselben Familien. Schon im voraus hatte sie regelrechte Panik vor dem gräflichen Weihnachtsfest: erstens weil ihre Tante anläßlich dieser Überforderung gestorben war, zweitens weil sie nun selbst den gleichen Kraftakt bewältigen mußte. Im Gegensatz zu Josefa hatte Pilar einen Mann und Kinder, die ihrerseits Ansprüche stellten. Sollte sie kündigen? Sie beschloß, sich wenigstens im ersten Jahr der schwierigen Aufgabe zu stellen.
    Die Gräfin war kinderlos. Früher war sie wohl mehrmals im Jahr hierhergekommen, jetzt waren ihr die häufigen Flüge zu beschwerlich. Wenn Pilar die Franzosenhäuser in der Nähe saubermachte und sah, daß Esteban in der deutschen Villa die Pflanzen sprengte, dann lief sie schnell auf einen Schwatz hinüber. Der Gärtner war fast so alt wie die Gräfin und erzählte, daß sie dreimal Witwe wurde. »In ihrer Jugend war sie eine bildschöne Frau«, sagte er, und seine trüben Augen bekamen einen feurigen Glanz, »bei den ersten beiden Männern ist sie reich, beim dritten adlig geworden.«
    Seit ihrer vierten Gesichtsstraffung konnte von Schönheit allerdings nicht mehr die Rede sein. Ähnlich ihrer Villa war sie renovierungsbedürftig, im Gegensatz zu einem Haus jedoch nicht mehr tauglich dafür. Aber wie in jungen Jahren fragte sie jeden Sommer: »Esteban, hast du auch das Meer geprüft?« Wenn er keine Quallen gesichtet hatte, auf die sie allergisch reagierte, schwamm sie eine Viertelstunde im warmen Wasser und gerbte dann ihren Eidechsenbauch auf dem Sonnendach. Von dort aus konnte sie direkt das
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