Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Falsche Zungen

Falsche Zungen

Titel: Falsche Zungen
Autoren: Ingrid Noll
Vom Netzwerk:
suchte nämlich die Gelegenheit, ihren Mann auf kunstgewerbliche Bijous, Trockenblumensträuße und Keramiken hinzuweisen. Aber Oliver holte die Dominosteine und wollte lieber damit spielen.
    Als sie das Personal fast vergessen hatten, traten die beiden Spartakisten plötzlich ins Wohnzimmer, um zu streiken. Willi hatte Meister Proper sowohl losgekettet als auch aufgewiegelt. Sie beschwerten sich. »Wir sind Sex-und nicht Putzsklaven! Wo bleibt die Belohnung?«
    »Erst einmal drei Blaue auf den Tisch«, sagte die Domina sanft, »dann könnt ihr euch zur Belohnung ein Plätzchen nehmen.«
    In diesem Moment sprang der Kuckuck achtmal aus dem Uhrenhaus.
    »Um Gottes willen!« rief Willi. »Ich habe meiner Frau versprochen, um sieben zur Bescherung wieder dazusein! Was machen wir jetzt?«
    Alle dachten angestrengt über eine Ausrede nach. Dabei fiel Georg ein, daß er mit seiner Mutter die Christmesse besuchen mußte. Seiner Frau gegenüber war er ohne Verpflichtungen; sie hatte nämlich von seinem Hobby Wind bekommen und war entlaufen.
    »Am besten wirkt immer ein Unfall«, sagte Oliver, »dann sind die Angehörigen voller Mitleid und denken gar nicht an eine Standpauke ...«
    »Woher kennst du dich so gut aus?« fragte die Domina spitz, aber nicht ohne Bewunderung.
    »Was für ein Unfall?« fragte der nervöse Georg. »Soll ich mir etwa ein Bein brechen und im Krankenhaus landen?« »Nein«, sagte Oliver, »Ihr Auto, nicht Sie!«
    Für Autos war Willi zuständig. »Nullo Problemo«, sagte er, »wir beide könnten einen Zusammenstoß arrangieren.«
    Oliver rieb sich die Hände.
    »Aber nicht direkt vor unserer Haustür«, sagte die vorsichtige Domina.
    Georg drehte am Radio herum. »Habt ihr schon Weihnachtslieder gesungen?«
    Alle sahen ihn verwundert an.
    »Bevor wir auseinandergehen, könnten wir doch noch einen vierstimmigen Satz ...«
    »Bitte«, sagte die Domina, »die Tochter Zion!«
    Georg stimmte an, Willi und die Domina freuten sich und jauchzten laut Jerusalem, Oliver kannte solche Songs weniger. Aber auf die Dauer hatten die beiden Unfallkandidaten keinen Spaß an geistlichen Gesängen. »Wer von uns wird der Verursacher?« fragte der Banker fachmännisch.
    »Von mir aus meine Wenigkeit«, sagte Willi, »ich fahre einen Vorführwagen, natürlich Vollkasko. Aber dafür müßten Sie mir schon ein bißchen .«
    »Ich bitte Sie, das können Sie doch alles von der Steuer absetzen, aber ich werde Ihnen gern behilflich sein«, sagte Georg.
    »Na, dann wolln wir mal«, sagte Willi und flüsterte Georg ins Ohr: »Das Studio in der Weststadt hat vielleicht noch auf.«
    »Leider nicht, ich habe mich schon erkundigt, die machen Betriebsferien!«
    Für den großen Crash zogen sich alle warm an, denn es sollte ja nicht direkt vor der Haustür geschehen. Oliver tauschte mit Willi den Mantel, das heißt, er drängte dem
    Autohändler kurzfristig und spaßeshalber den eigenen Parka auf und zog dafür dessen Büffellederjacke an.
    »Aber erst die Kohle auf den Tisch«, ermahnte die Domina aus Jux und Gewohnheit. Man wußte leider nicht, was sich gehört, am Ende lagen bloß zwei Kippen unterm Baum, und der Zug setzte sich in Bewegung. Die Duellanten besaßen Nobelkarossen, die sie behutsam auf die einsame Landstraße lenkten. Das Fußvolk zockelte hinterher, die Domina aus Versehen in Pantoffeln. »Gut, daß ich ihnen nur Plätzchen gegeben habe«, sagte sie mütterlich, »als hätte ich’s gewußt.«
    Oliver zeigte, daß er etwas von Organisation verstand. Wie ein erfahrener Sekundant wies er den beiden Masochisten die Plätze an, stellte sich selbst in die Mitte und blinkte schließlich mit dem Feuerzeug, daß mit Tempo losgefahren werden sollte. Als wahrer Kavalier eilte er aber sofort wieder zur Domina, um sie bei einer möglichen Ohnmacht aufzufangen.
    Die Spannung wuchs. Wie in einem gefährlichen Stunt schossen die schweren Wagen voran und krachten schauerlich ineinander. »Die Polizei ist bestimmt in Windeseile da«, sagte Oliver, »schnell weg hier!«
    »Sieh erst mal nach«, sagte die Domina, »warum sie nicht aussteigen.«
    Flink näherte sich Oliver der Unfallstelle und steckte den Kopf abwechselnd in beide Wagen. Erfolglos sprach er auf Willi und Georg ein, keiner von beiden machte Anstalten auszusteigen. Oliver knipste das Feuerzeug wieder an und gab der Domina Zeichen: Daumen nach unten. Ohne jeden Beistand mußte sie in Ohnmacht fallen. Aber auf Zuspruch öffnete sie die Augen und befahl, sofort zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher