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Mein Offizier und Gentleman

Mein Offizier und Gentleman

Titel: Mein Offizier und Gentleman
Autoren: ANNE HERRIES
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PROLOG

    David Middleton betrat seinen Club und warf einen Blick in die Runde der Anwesenden. Als er einen ihm äußerst unsympathischen Herrn entdeckte, überlegte er kurz, ob er sich wieder zurückziehen sollte, denn der bewusste Sir Frederic Collingwood entstammte zwar einer guten Familie, doch galt er, sofern man den Gerüchten trauen konnte, als gesinnungsloser Schuft, der längst aus der Gesellschaft hätte ausgeschlossen werden müssen. So dachte wenigstens David, sah jedoch seinerseits keine Möglichkeit dazu, solange der Mann noch weitgehend akzeptiert wurde.
    „Middleton, komm her, mach ein Spielchen mit uns“, rief ihm Sir Henry James zu. David runzelte die Stirn. Die Aufforderung konnte er kaum ablehnen, da er mit Sir Henry befreundet war. Außerdem hatte er vor ein paar Tagen einen größeren Betrag von ihm gewonnen, also wäre es nur anständig, ihm Revanche zu geben. Wohl oder übel nahm er bei den Herren Platz, obwohl es bedeutete, ausgerechnet mit Collingwood an einem Tisch sitzen zu müssen. Er beschloss, sich nach ein paar Runden mit einer Entschuldigung zurückzuziehen.
    Collingwood nickte ihm zu und begann auszuteilen; ein Einsatz wurde festgesetzt, und David nahm die ihm zugeteilten Karten auf.
    „Sie tragen da einen recht ungewöhnlichen Ring“, sagte Collingwood. „Würden Sie ihn nicht gegen mich setzen wollen?“
    „Nein, sicher nicht. Er ist ein Geschenk …“ Ungewollt hatte David tief bewegt gesprochen. Als er aufblickte, sah er Collingwoods Blick durchdringend und spöttisch auf sich ruhen, so, als ob es dem Mann bekannt wäre.
    „Von einer Dame vermutlich?“
    „Das soll Sie nicht interessieren.“
    „Also ist sie verheiratet.“ Collingwood grinste höhnisch. „Lassen Sie mich raten – es ist …“
    „Zur Hölle, Sir! Schweigen Sie!“ David stieß seinen Stuhl zurück, nahe daran, sich zu entfernen.
    „Setz dich wieder, Middleton, du kannst jetzt nicht gehen“, mischte sich Sir Henry ein. „Die Karten sind ausgeteilt. Es sollte nur ein Scherz sein, nicht wahr, Collingwood?“
    Über den Tisch hinweg sah David seinem Gegner in die Augen. Eine warnende Stimme riet ihm, aufzustehen und unverzüglich zu gehen, doch in diesem Moment erklärte sein Freund, wie erfreut er über die Möglichkeit sei, seine Verluste ausgleichen zu können. Also war es zu spät; er würde spielen müssen. Doch ein sechster Sinn mahnte ihn, dass er der Spinne ins Netz gegangen sei.

1. KAPITEL

    Jack Harcourt, einst dem Dragonerregiment seiner Majestät angehörig und ein paar Jahre lang Geheimagent und Adjutant Wellingtons, saß in der Bibliothek seines Londoner Stadthauses und starrte trübsinnig in sein leeres Weinglas. Hatte das Leben nur dies noch zu bieten, diese innere Leere, die sich nur ertragen ließ, indem er trank, bis er den Schmerz nicht mehr fühlte?
    Als Of fi zier hatte er geholfen, Napoleon Bonaparte zu besiegen, hatte gegen Spione und Staatsfeinde gekämpft; ungleich schwerer zu bekämpfen waren jedoch die Bitterkeit und Trostlosigkeit, die seit Kurzem auf ihm lasteten. Er gehörte zum Hochadel, war wohlhabend genug, um sich mehr als nur seine Bedürfnisse zu erfüllen, erfreute sich bester Gesundheit und war attraktiv – doch er hatte manchen Wermutstropfen gekostet und wünschte sich gerade in diesem Augenblick, er wäre auf dem blutigen Schlachtfeld Waterloos geblieben. Stattdessen hatte man ihn mit Lob und Ehren überhäuft, er hatte eine Privataudienz beim Prinzregenten erhalten, der ihn als Stütze Englands bezeichnete und ausdrücklich betonte, wie stolz er war, ihm die Hand schütteln zu dürfen. Nichts hatte Jacks tiefen Gram lindern können.
    „Warum war ich nicht hier, als du mich brauchtest, David?“, sprach er laut vor sich hin. „Warum hörte ich dich nicht, als du allein und ohne Freunde im Straßengraben dein Leben aushauchtest?“
    Wahre Freundschaft erlebte ein Mann wahrscheinlich im Laufe seines Lebens nicht öfter, als man an einer Hand abzählen konnte. Jack hatte Freunde, Männer, die er sehr schätzte, doch dass David Middletons Tod ihn so tief traf, hatte einen besonderen Grund. Sein bester Freund erlitt nämlich das grausame Geschick, am Straßenrand sterben zu müssen, seines kostbarsten persönlichen Besitzes beraubt, ein Opfer von Wegelagerern. Tag und Nacht verfolgte Jack dieses Bild, er konnte es einfach nicht vertreiben, und ständig schien ihm Davids Stimme im Ohr zu klingen, die nach Gerechtigkeit verlangte.
    Allerdings war die Tat schon
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