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Ewige Nacht

Ewige Nacht

Titel: Ewige Nacht
Autoren: Ilkka Remes
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das eingeschlagene Fenster strömte etwas Luft in die erleichterten Gesichter der Fahrgäste.
    Aber im selben Moment blieb der Zug auch schon wieder stehen. Enttäuschtes Stimmengewirr umgab Aaro.
    »O nein«, seufzte Reija.
    Aaro fand, dass sie schrecklich blass und bemitleidenswert aussah in ihren komischen Kleidern und mit ihrem gewagten Makeup.
    »Bestimmt …«, setzte Aaro gerade an, als sich der Wagen wieder in Bewegung setzte, »… fährt er gleich weiter.«
    Schwerfällig kroch die Metro unter der Erde vorwärts. Aaro betete innerlich, es möge keine Unterbrechung mehr kommen.
    An der Station Herman Debroux kam der Zug auf einmal unter der Erde heraus und blieb stehen.
    Die Fahrgäste drängten alle gleichzeitig hinaus.
    »Wo gehen wir hin?«, fragte Aaro inmitten des chaotischen Gewimmels.
    »Wir warten die Durchsage ab«, antwortete Reija.
     
    Der verbeulte silberne Rolls-Royce bog auf den Platz neben dem Spielplatz ein, wo der Helikopter mit träge kreisenden Rotorblättern wartete. Timo fuhr so dicht wie möglich heran und sprang gleichzeitig mit Ralf aus dem Wagen. Im Osten war bereits ein erster schwacher Lichtschimmer am Himmel zu erkennen.
    Sie hoben die Kernladung aus dem Kofferraum und trugen sie gebückt zur Türöffnung, wo der Pilot sie erwartete. Der Belgier wirkte äußerst nervös.
    »Weißt du Bescheid?«, rief Timo ihm über den Lärm hinweg zu, während er den Kasten auf dem Boden der Hubschrauberkabine abstellte.
    »Es muss doch auch andere Wege geben«, stotterte der Pilot.
    In Timo schäumte Wut auf. »Du weigerst dich zu fliegen?«
    Der Pilot wirkte entsetzt. »Ich habe drei Kinder …«
    »Ich habe dich gefragt, ob du dich weigerst zu fliegen.«
    Timo spürte Ralfs Griff am Arm. »Ich fliege«, sagte Ralf. »Und ich schaffe es allein.«
    Scham und Panik zeichneten sich auf dem Gesicht des Piloten ab. »Ich kann zeigen …«
    »Raus!«, schrie Timo ihn an. Der Belgier trat unsicher auf die Türöffnung zu.
    »RAUS!«, wiederholte Timo, stieß den Mann hinaus und zog die Tür zu.
    »Du auch«, rief Ralf Timo zu, als dieser ins Cockpit kam. »Ich krieg die Bombe auch allein ins Meer …«
    Timo kauerte erstarrt auf seinem Platz, die Hand am Türgriff. Er schloss die Augen. Er konnte einen Menschen wie Ralf nicht allein mit dieser Bombe losschicken. Aber er konnte auch nicht zu einem Todesflug aufbrechen und Aaro und Soile zurücklassen.
    »Hau ab!«, rief Ralf. »Du hast jemand, der auf dich wartet …«
    »Halt’s Maul!«
    Timo wunderte sich selbst, dass er bei einer so selbstverständlichen Entscheidung zögerte. Er nahm die Hand vom Türgriff. »Flieg jetzt! Sofort!«
    Ralf erhöhte die Drehzahlen des Motors. Der Hubschrauber schaukelte, und Timo sank auf seinem Sitz zusammen. Er kam sich nicht vor wie ein Held, sondern wie ein armseliger Angsthase, der nur nach Hause wollte.
     
    Aaro und Reija standen vor der Metrostation Herman Debroux in der Schlange vor einem knallvollen Bus. Es war durchgesagt worden, die Metro würde nicht mehr weiterfahren.
    Aaro hörte das Geräusch eines Hubschraubers und schaute in die Richtung, aus der es kam. Weit weg hinter den Bäumen stieg ein Helikopter mit außergewöhnlich hoher Geschwindigkeit in den Morgenhimmel auf. Aaro kam eine Anschaffung in den Sinn, von der er schon lange geträumt hatte: ein ferngesteuerter Hubschrauber. Aber sein Vater war der Meinung, das sei erstens wahnsinnig teuer, zweitens schwer zu steuern und drittens etwas für Erwachsene.
    Mit zusammengekniffenen Augen sah Aaro zu, wie der Helikopter über sie hinwegflog. Ein paar Mal schwankte er seltsam. Aus irgendeinem Grund winkte Aaro ihm zu.
     
    56
     
    Die abrupte Bewegung machte Timo Angst.
    »Vorsichtig!«, brüllte er Ralf an, während er den Sicherheitsgurt anlegte und das Headset aufsetzte. Der Erdboden rückte schnell weit weg. Vor der Metrostation Herman Debroux standen einige Busse, vor denen eine dichte Menschenmenge wartete. Über den Boulevard du Souverain raste ein Auto mit Blaulicht. Waren das die Bombenentschärfer?
    Ob sie es waren oder nicht, es war zu spät. Mit zitternden Fingern steckte Timo das Kabel seines Kopfhörers ein. Im selben Moment fingen die Wörter an zu strömen, mit ständigem Rauschen im Hintergrund.
    »Euch ist ein Korridor bis Oostende frei geräumt worden …«
    Der Helikopter neigte sich stark nach vorn, das Tempo nahm rasch zu. »Da unten ist der westliche Ring, von dem zweigt eine Autobahn ab …«, sagte Ralf mit Blick nach
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