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Ewige Nacht

Ewige Nacht

Titel: Ewige Nacht
Autoren: Ilkka Remes
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versuchte, die Klinke zu bewegen.
    Das Sirenenheulen schmerzte in den Ohren. Wahrscheinlich ging der Alarm auch zu einer Wachfirma oder zur Polizei, aber von dort war jetzt keine Hilfe mehr zu erwarten.
    »Zur Seite«, keuchte Timo und griff nach dem Ast. Er zertrümmerte noch mehr Glas, schob das Holz zwischen die schmiedeeisernen Verzierungen und stemmte sich dagegen. Das hundert Jahre alte Eisen bog sich zur Seite. Er schlug immer mehr Glas auf und bog weitere Eisenverzierungen zur Seite, bis Ralf durch die Öffnung passte. Die massiveren Mittelstreben verhinderten, dass Timo selbst hindurchgepasst hätte.
    »Geh von innen zur Garage«, sagte er. »Die Tür lässt sich elektrisch öffnen.«
    Wieder lief er die Treppe hinunter. Dabei bemerkte er die Kobra, die das Ende des Geländers verzierte. Jede Anspielung an Afrika bestärkte ihn jetzt in seiner Hoffnung, hier doch noch fündig zu werden. Er rannte zur Garage und wartete. Dann hörte er ein Poltern, und das Tor öffnete sich elektrisch.
    In der geräumigen Garage stand ein silberner Rolls-Royce aus den siebziger Jahren. Daneben lag viel Zeug herum, das größtenteils nach Schrott aussah. Timo ging um das Auto herum und bemerkte dahinter zu seinem Erstaunen ein mindestens fünf Meter langes, kaum einen halben Meter breites afrikanisches Kanu. Es war aus einem Baum geschnitzt, die glatte, dunkle Oberfläche war im Halbdunkel kaum zu erkennen. Das Boot brachte ihm den Angelausflug in Erinnerung, den er irgendwann vor langer, langer Zeit Aaro versprochen hatte. Das Versprechen war in einer anderen Wirklichkeit gegeben worden. Und diese Wirklichkeit wollte er mit aller Macht zurückhaben.
    Noch entschlossener als zuvor ging Timo zu der schmalen Treppe, auf deren Stufen weißer Staub lag, der von den Wänden gerieselt war. Es folgte ein Gang mit schön gemusterten Keramikfliesen vom Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Nach wenigen Metern tat sich eine zwei Stockwerke hohe Halle auf. Dort führten auf zwei Seiten leicht gewundene Marmortreppen nach oben, über die ein weinroter Teppich lief. Timos schnellem Blick entgingen nicht die Elfenbeinknäufe am Geländer. In der Decke war eine Bleiglas-Kuppel eingelassen, deren Bildmotiv gegen den dunklen Himmel nicht zu erkennen war.
    Die Alarmanlage verstummte. Timo ging um eine riesige Palme herum. Fast wäre er gegen eine afrikanische Holzskulptur gestoßen, und er erschrak, als er die weibliche Figur mit den unnatürlich großen Lippen, Brüsten, Beckenknochen und Schamlippen erblickte. Das Amulett, das sie um ihren Hals trug, schaukelte. War Ralf gerade hier vorbeigelaufen?
    Im Laufschritt setzte Timo seinen Weg in einen Saal mit mindestens vier Meter hohen Wänden fort. Ein dekoratives Gipsmuster lief über die Decke, der knarrende Parkettboden zeigte ein kompassähnliches Motiv, das sich in den Ziermustern des Marmorkamins wiederholte.
    Die Möbel schienen größtenteils Originale zu sein, ursprünglich für dieses Haus entworfen und angefertigt. Das Gesamtbild war mindestens ebenso einheitlich wie im Haus des Architekten Victor Hortan, das als Museum diente und das Timo oft besucht hatte.
    Fast alle Materialien stammten mit großer Wahrscheinlichkeit aus dem Kongo: Holz, Marmor, Onyx, Kupfer. Am frappierendsten waren allerdings die Ziergegenstände: Ritualmasken in verschiedenen Größen, Leopardenfelle, ausgestopfte Papageien, alte afrikanische Kunstwerke und Handarbeiten – aus Flusspferdleder, Ebenholz, Zinn, Kupfer, Elfenbein, Gold. Ein Teil der Stücke wurde in Vitrinen aufbewahrt, die eigens dafür eingebaut worden waren. Die Gegenstände hatte der Besitzer des Hauses aus Afrika mitgebracht, sie waren alles andere als billige Souvenirs.
    Timo sah auf die Uhr. Die Hälfte der Zeit, die ihnen der Pilot gegeben hatte, war um. Bald mussten sie zum Hubschrauber zurück und die Stadt verlassen.
    Durch eine hohe Flügeltür eilte Timo in die Bibliothek, deren Regale bis zur Decke reichten. Er roch das Leder der Möbel und den Zigarrenrauch und Parfümduft, die seit Jahrzehnten an den Wänden hafteten. Wo keine Regale standen, hingen an den Wänden Karten von Zentralafrika und alte gerahmte Fotografien von Menschen an einem Fluss, im Urwald oder in der Savanne. In einer Vitrine lag ein Grand- Croix-Orden, auf dem als Relief Leopolds II. bärtiges Gesicht mit der geraden Nase zu erkennen war sowie das Sternwappen des Kongo und der Text: Für Treue.
    Auf einmal erstarrte Timo. Sein Blick blieb an einer
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