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Ertränkt alle Hunde

Ertränkt alle Hunde

Titel: Ertränkt alle Hunde
Autoren: Thomas Adcock
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setzen, daß Liam aufgrund seines schwachen Herzens nun ans Bett gefesselt war; er schrieb, Liam habe »vielleicht noch ein Jahr oder auch mehr«; er brachte die typisch irische Beileidsbezeugung zum Ausdruck: »Ich bedaure natürlich sehr, Sie beunruhigen zu müssen.« Und nun, am Sonntag abend unter diesen traurigen Vorzeichen, würden Ruby und ich nach Dublin fliegen, um einem angeschlagenen alten Knaben zu zeigen, daß das Leben weitergeht. Mehr konnte ich nicht tun.
    »Ich bin kein Schwarzmaler«, sagte ich zu Ruby. »Ich sehe den Tatsachen nur ins Gesicht. Liam stirbt, und ich glaube, er selbst würde dieses Wort auch benutzen.«
    Ein Kellner kam, flitzte geschäftig um Ruby herum und ignorierte mich völlig. Endlich war er soweit, unsere Bestellungen entgegenzunehmen, und endlich waren wir mit dem Essen fertig, das wirklich ausgezeichnet war und fast jeden Penny wert, den Ruby dafür zahlen mußte. Als wir dann schließlich über Kaffee und Port saßen, ergab sich wieder dieses äußerst unappetitliche Thema.
    »Wie war sie?«
    »Sie -?« Als müßte ich fragen.
    »Du weißt schon, wen ich meine.«
    »Das darf doch wohl nicht wahr sein! Ich habe heute Geburtstag!«
    »Deshalb gehe ich ja auch mit dir in dieses nette Lokal und sage herzlichen Glückwunsch. Jetzt fänd ich’s aber nett, wenn du ein bißchen für dein Abendbrot singst. Ist das vielleicht zuviel verlangt? Du weißt doch, wie man singt, oder nicht? Immerhin warst du ja mal Chorknabe, Hock, warst du doch?«
    Wann genau hatte ich das erwähnt? Die mit Abstand furchterregendste Sache bei Frauen ist, daß sie sich absolut an alles erinnern, was man ihnen einmal gesagt hat.
    Was meine Zeit als Chorknabe betrifft, das war schon richtig. Ich hatte im Knabenchor der Holy Cross Church an der West Forty-second Street den Sopran gesungen, als Harry Truman im Weißen Haus saß, Sunset Boulevard in den Kinos lief und es überall von gerissenen Kommunisten wimmelte, die Tag und Nacht daran arbeiteten, den American Way of Life zu untergraben.
    Father Timothy Kelly hatte sich um diese Kommunisten ganz besonders Sorgen gemacht. Er war davon überzeugt, daß die Roten mit Satan im Bunde standen und sich vor allen Dingen der Aufgabe verschrieben hatten, die Jugendlichen seiner Pfarre zu verderben. Folgerichtig hoffte Father Tim, uns leicht zu beeindruckenden Hell’s-Kitchen-Jungs durch das Singen der Lieder des Herrn dazu bewegen zu können, auf unsere besseren Engel zu hören. Ein ganz besonderes Interesse hatte Father Tim daran, mich vor den subversiven Kräften jener Tage zu schützen, da ich zufälligerweise der Neffe seines engen und guten Freundes aus Dún Laoghaire war - meines Onkels Liam.
    Schon sehr lange hatte ich nicht mehr an den Knabenchor gedacht. Genausowenig an Father Tim, wie ich mich schäme einzugestehen. Nicht mehr seit Father Tim aus dem Viertel fortgezogen war, um den Lohn seines Berufslebens in Empfang zu nehmen: ein Zimmer in einem Heim für pensionierte Priester in einer baumbestandenen Straße in Riverdale oben in der Bronx. Einmal hatte ich ihn dort besucht, etwa eine Woche, nachdem er fortgezogen war. Danach rief ich noch drei- oder viermal an, nur um in Verbindung zu bleiben, wie ich es versprochen hatte. Dann wurde ich zu einem typischen Drecksack und verdrängte den alten Knaben auch aus meinem Kopf.
    »Als Chorknabe habe ich zum Himmel gesungen«, erklärte ich Ruby. »An meinem Hochzeitstag sagte man mir, Ehen würden im Himmel geschlossen. Also wirst du verstehen, daß ich nicht viel Sinn darin sehe, heute noch zu singen.«
    »Ja«, sagte Ruby, »und heute siehst du auch in der Ehe nicht mehr viel Sinn. Und deshalb wirst du mich deinem kleinen alten irischen Onkel auch als - als was... deine kleine Freundin vorstellen?«
    »So würde ich es nicht ausdrücken.«
    »Wie willst du es denn ausdrücken, wenn du Liam von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehst und er mich einfach nicht übersehen kann?«
    »Ich werde ihm sagen, daß wir beide uns in einem langen, langsamen Tanz befinden.«
    »Aha! Deine Worte kenne ich wohl, Mister Charmeur. Nur daß sie jetzt nicht mal mehr halb so clever klingen wie beim ersten Mal.«
    Sie erinnern sich an absolut alles!
    »Was willst du von mir?« fragte ich.
    »Du sagst nette Dinge, Hock, und das mag ich. Aber manchmal ist nett eben nicht genug.« Ruby hatte sich aus ihrem Stuhl zu mir vorgebeugt, und ich hatte die Wärme ihres Atems und die Hitze ihrer karamelfarbenen Haut genossen. Jetzt aber
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