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Ertränkt alle Hunde

Ertränkt alle Hunde

Titel: Ertränkt alle Hunde
Autoren: Thomas Adcock
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eine Nachricht entgegenzunehmen und aufzuzeichnen. Das Knistern und Knacken von statischem Rauschen. Und mit diesem Geräusch, das wußte er, drängte sich die unglückselige Vergangenheit in die Gegenwart.
    Während der vergangenen zwei Tage hatte er zehn solcher Anrufe erhalten. Zehnmal hatte er den Hörer nicht abgenommen. Zehnmal wußte er, wer es war, der sich beharrlich weigerte, etwas zu sagen. Ja, bei Gott, er wußte es.
    Aber heute sprach der Anrufer: »Was ist ein echter Patriot?«
    Father Timothy Kelly kannte die Stimme. Ja, bei Gott. Er legte eine fahle, fleckige Hand auf seine pochende Brust.
    Die Stimme war voller Erinnerungen an einen anderen Ort: Das dunkle, träge Wasser des Liffey plätschert unter den O’Connell-Street-Brücken; der Februarwind fegt durch Hecken entlang den Lehmstraßen außerhalb der Stadt; hinter dem Kuhstall stapft er mit matschbespritzten Stiefeln durch den Misthaufen, wo er und seine Brüder Pilze mit schwarzen Lamellen sammelten, wenn es zum Abendbrot der Familie nichts anderes gab...
    ... und später, bevor er das Land seiner Jugend verlassen mußte: Kapuzen, mit denen die Gesichter seiner rechtschaffenen Kameraden maskiert waren.
    Hatte er sich nicht all die Jahre so viele Male an diese Stimme und an diese Worte erinnert? Hatte er nicht erst letzte Nacht von ihnen geträumt?
    Wieder fragte der Anrufer: »Was ist ein echter Patriot?«
    Es hatte keinen Sinn mehr, es noch weiter zu ignorieren. Er nahm den Hörer ab und stieß einen weiteren tausend Jahre alten Seufzer aus. Der Anrufbeantworter zeichnete weiter auf.
    Father Kelly antwortete seiner Vergangenheit mit den Worten, die in Erwiderung auf die gestellte Frage zu sagen er vor langer Zeit instruiert worden war: »Echte Patrioten haben Gewehre in den Händen und Gedichte in den Köpfen. Niemals wieder!«

3

    Jeder, der ein New Yorker Cop ist und noch dazu irischer Katholik, hat guten Grund, früher oder später Zyniker oder so etwas wie ein Mystiker zu werden. Oder, wie in meinem Fall, beides.
    In meiner gnadenlosen Stadt gibt es wahrscheinlich acht Millionen Geschichten über irische Cops. Irische Cops - was fällt ihnen als nächstes ein? Zu diesem äußerst beliebten Thema habe ich noch nie ein Buch gelesen oder einen Film im Kino oder Fernsehen gesehen, das mir mehr als bestenfalls die halbe Geschichte erzählt hat. Dies liegt daran, daß Zynismus leicht zu haben und noch leichter zu erzählen ist, und weil Schriftsteller besonders faule Menschen sind.
    Ein New Yorker Cop wird ungefähr dann zum Zyniker, wenn er zum zehnten Mal irgendeine Wohnungstür aufbrechen muß, um irgendeine schreiende Frau mit verquollenen, schwarzen Augen und blutender Nase zu retten, die dann knurrend von hinten auf ihn losgeht, wenn er versucht, ihren Alten wegen dem einzulochen, was er ihr angetan hat. Eine düstere Weitsicht bewahrt einen Cop vor großem Kummer wie diesem, genau wie ein Asbestanzug einen Feuerwehrmann vor den Flammen schützt. Schriftsteller trinken den Zynismus natürlich mit der Muttermilch.
    Aber an mystische Dinge zu glauben, das ist die schönere Seite der Polizeiarbeit. Ich persönlich glaube, daß die reine und schlichte Wahrheit selten rein und niemals schlicht ist; ich glaube an die geheimnisvolle Arbeit ereignisloser Tage; ich glaube an die Skepsis gegenüber Zufällen; ich glaube zutiefst an die Heiligen und die meisten anderen unsichtbaren und lautlosen Kräfte; ich glaube an den Heiligen Geist und an Geister, die nicht notwendigerweise geweihte Seelen sind.
    Früher habe ich mal gedacht, es wäre sehr vernünftig von mir, an das zu glauben - vielleicht sogar verstandesmäßig -, was ich mache. Aber dank meines Vorgesetzten Inspector Tomasino Neglio weiß ich heute, daß es lediglich auf eine gewisse Phantasie zurückzuführen ist, die ich besitze.
    Vor ein paar Jahren lud mich der Inspector eines Abends zu Ehren meiner Beförderung zum Detective auf ein Steak ein. Nach einigen Drinks und nachdem er eine nette Show daraus gemacht hatte, mir meine goldene Dienstmarke zu überreichen, in einem Etui aus echtem Aalleder, fühlte ich mich natürlich ziemlich gut, was auch für Neglio galt. Natürlich tranken wir noch ein paar Drinks mehr. Danach vertraute mir der Inspector den wahren Grund für meine Beförderung an. »Hock«, sagte er, »du besitzt eine sehr lebendige und rege Phantasie und bist so gerade eben noch nicht verrückt. Genau darauf lege ich bei einem Detective großen Wert.«
    Oft frage ich mich
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