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Ertränkt alle Hunde

Ertränkt alle Hunde

Titel: Ertränkt alle Hunde
Autoren: Thomas Adcock
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allerdings: Ist es wirklich allein meine Vorstellungskraft?
    Da war ich also, saß an einem heller werdenden Samstagmorgen lange vor meiner üblichen Aufstehzeit - sonst gegen Mittag - mit einem Geist zusammen. Mit weit geöffneten Augen dank dem starken schwarzen Kaffee und energischem Gesichtwaschen glaubte ich, wie ein Verrückter, mich gerade eben mit einem Foto unterhalten zu haben. Für den Mystiker in mir entsprach das alles durchaus der Realität.
    Ich dachte an die grundlegenden Fragen in der Karriere eines jeden Cops: Fragen von Zeit und Raum, von Lebenden und Toten, von Recht gegen Unrecht. Und war ich wirklich allein dafür verantwortlich, daß ich mir solche Fragen stellte?
    Nein, denn da war noch mehr; mehr als nur das Bild meines Vaters. Zum ersten Mal gab es nun Worte, gerade erst entdeckt, geschrieben auf die Rückseite von Aidan Hockadays Foto. Beantworteten sie die Fragen meines Lebens? Konnten sie mich auf den Weg zu den Antworten führen? Willst du es wirklich wissen?
    Ich weiß, daß die meisten von uns zumindest an einige der Zehn Gebote glauben. Oder zumindest predigen wir sie.
    Unter anderem behaupten wir, daß Töten falsch ist.
    Aber wir töten Spinnen und Schweine und Regenwälder und Einbrecher und Menschen unscheinbarer Rassen und die Zeit und die Unschuld und Feinde und unangenehme Ideen und
    Initiative und Freude. Wir töten alles, was wir ungeschoren töten können, außer der Angst.
    Und so tröstet sich ein irisch-katholischer New Yorker Cop wie ich mit der Erkenntnis, daß Gott selbst auch kein so besonders guter Cop ist.

4

    Die Arthritis verursachte ein unangenehmes Stechen in den Beinen des Priesters, und er weinte, allerdings nicht wegen eines körperlichen Schmerzes. Neben ihm auf dem Telefontisch blinkte das rote Lämpchen des Anrufbeantworters. Ein Anruf, entgegengenommen und auf Band aufgezeichnet.
    Er konnte aufstehen, zu der Kommode an der gegenüberliegenden Wand der winzigen Klosterzelle gehen und die Schublade aufziehen, in der er eine Flasche Jameson aufbewahrte, und das würde gegen den Schmerz in seinen alten Beinen helfen. Gegen die Tränen besaß er kein Mittel. Er versuchte, den Anblick draußen vor seinem Fenster zu genießen, aber es war jetzt nur mehr ein grelles und verschwommenes Bild; das Weinen hatte seine Augen in unscharfe Prismen verwandelt.
    Er schob die Brille mit dem silbernen Metallgestell auf die Stirn hoch und wischte sich die Augen mit einem ordentlich gebügelten Taschentuch, in päpstlichem Goldfaden bestickt mit den Worten Roman Catholic Church of the Holy Cross, New York, N. Y. und der Jahreszahl seiner Zeit als aktiver Priester. Wieder füllten sich seine Augen, wieder wischte er sie ab.
    Er stand auf und ging zur Kommode, um schließlich wenigstens etwas wegen seiner Beine zu unternehmen. In der Schublade tastete er nach dem Whiskey.
    Draußen auf dem Flur waren Schritte zu hören, dann ein kräftiges Klopfen an seiner Tür. Schließlich die Stimme seines Zimmernachbarn. »Ist uns schon nach Frühstück?«
    »Guten Morgen, Owen«, sagte Father Timothy Kelly, drückte die Flasche Jameson an seine Lippen und inhalierte den holzigen Duft ihres Inhalts. »Ich bin heute ein bißchen trödelig. Geh schon vor, ich komme gleich nach.«
    Sein Nachbar grunzte und ging weiter. Father Kelly lauschte auf die verhallenden Schritte. Dann nahm er einen tiefen, zittrigen Schluck aus der Flasche. Erneut mußte er sein besticktes Taschentuch benutzen, diesmal, um sich Whiskey vom Kinn zu wischen. Was ihn an die vielen Säufer erinnerte, denen er im Verlauf seines Lebens mit Rat zur Seite gestanden hatte. In einer anderen Schublade der Kommode fand er ein Glas, füllte es und kehrte zu seinem Sessel und dem Fenster zurück - um wie ein Gentleman zu trinken, auch wenn um diese Tageszeit nur ein Säufer trank.
    Nach einem oder zwei Augenblicken begann seine Brust von neuem zu pochen, und er weinte wieder. Er bekreuzigte sich. Hatte er nicht immer schon gewußt, daß dieser Kummer zurückkehren würde? Wie oft hatte er den Bedrückten seiner Gemeinde die Weisheit mit auf den Weg gegeben: »Die Jugend verläßt einen niemals, sie meldet sich nur zu den ungelegensten Zeiten zurück«? Galt diese Lebensweisheit jetzt nicht auch für ihn?
    Er leerte das Whiskeyglas zur Hälfte. Dann klingelte das Telefon wieder. Er nahm den Hörer nicht direkt ab. Wie bei allen anderen Anrufen während der vergangenen zwei Tage hörte er zunächst mit.
    »Father Timothy Kelly am
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