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Der Ring

Der Ring

Titel: Der Ring
Autoren: Paul Melko
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STROM
     
    Ich bin Kraft.
    Intelligent bin ich nicht; Moira ist intelligent. Ich kann mich nicht ausdrücken wie Meda, ich habe keinen Sinn für Mathematik wie Quant, ich bin nicht so geschickt wie Manuel.
    Wer steht mir am nächsten? Wenn überhaupt jemand, dann Manuel – sollte man meinen: In seinen Händen, seiner Fingerfertigkeit liegt seine große Stärke. Doch er besitzt auch einen messerscharfen Verstand und speichert Informationen für uns, ganz banale Dinge, die er in unsere Erinnerungen einwebt.
    Aber nein, Moira steht mir am nächsten, vielleicht sogar deswegen, weil sie mein exaktes Gegenteil ist. Für mich ist sie genauso schön wie Meda, selbst als Singleton wäre sie etwas Besonderes. Ohne mich wäre der Pod auch nicht schlechter dran. Ohne mich wäre der Pod immer noch Apollo Papadopulos und auf dem besten Weg, Captain eines Raumschiffs zu werden. Denn dafür wurden wir konstruiert. Jeder von uns ist ein eigener Mensch, ein Individuum mit eigenen Gedanken, aber zusammen sind wir etwas anderes, Besseres. Wobei mein Beitrag nicht mit dem der anderen zu vergleichen ist.
    Ich schirme die Gedanken gegen die anderen ab, aber Quant hat mir schon einen Blick zugeworfen. Hat sie meine Zweifel gerochen? Ich lächle und hoffe, dass sie darauf hereinfällt, berühre ihr Handgelenk und lege mein Pad auf ihres. Unsere Gedanken mischen sich, und ich schicke ihr eine chemische Erinnerung: Moira und Meda in ihrer Kindheit, wie sie lachen und Händchen halten. Sie sind drei oder vier Jahre alt; der Pod hat sich also schon verbunden, aber wir leben noch in der Krippe, das Dritte Stadium steht uns noch bevor. Die beiden haben kastanienbraunes Haar, das ihnen in langen Korkenzieherlocken um die Köpfe baumelt. Moira lächelt nicht ganz so breit wie Meda, weil sie sich gerade das Knie aufgeschürft hat. Dann nimmt Meda Quants Hand, Quant Manuels, Manuel meine, und auf einmal spüren wir alle, wie sich Meda über den Anblick des Eichhörnchens auf der Wiese gefreut hat, und wie sich Moira ärgert, es durch ihren Sturz vertrieben zu haben. Im Hier und Jetzt, in den Bergen, kommt unser Konsens kurz ins Stocken, als sich jede und jeder die Erinnerung aus ferner Vergangenheit vergegenwärtigt.
    Moira lächelt, aber Meda bleibt ernst. »Wir haben zu tun«, sagt sie.
    Ich weiß, natürlich weiß ich das. Das Blut schießt mir ins Gesicht. Obwohl wir dicke Anoraks tragen, spüre ich, wie sich meine Scham in der Luft verteilt. Die anderen fühlen mit mir, auch ohne die Pads an meinen Handgelenken zu berühren.
    Tut mir leid. Ich forme die Worte mit den Fingern, während sich der Gedanke zwischen uns ausbreitet.
    Wir sind irgendwo in den Rocky Mountains, nahe der Baumgrenze, wo uns die Lehrer mit dem Aircar abgesetzt haben. Unsere Aufgabe: fünf Tage überleben in der Wildnis. Mehr haben sie nicht gesagt. Wir hatten eine halbe Stunde, um unsere Ausrüstung zusammenzusuchen.
    Unsere Klassenkameraden und wir befinden uns in der achten Woche unseres Überlebenstrainings. Lernen, wie man in der Wüste überlebt, im Wald und im Dschungel – Herausforderungen, die sich im All mit Sicherheit nicht stellen werden. Dort wird uns nur ein Klima begegnen, tödliches Vakuum, und damit kennen wir uns aus. Aber diese Aufgaben müssen wir nun mal bewältigen, wenn wir gewinnen wollen, und dem Sieger winkt das Kommando über die Consensus . Dafür wurden wir konstruiert, wir und die anderen.
    Am ersten Tag des Trainings hat sich Theseus, unser Lehrer, vor uns aufgebaut und uns mit bellenden, abgehackten Stimmen angebrüllt. Theseus ist ein Duo aus zwei Individuen, die simpelste Stufe eines Pods.
    »Ihr seid hier, um zu lernen, wie man denkt!«, schrie der linke Theseus.
    »Ihr seid hier, um zu lernen, wie man sich auf ungewohntem Terrain bewegt! Wie man großem Druck standhält! Unter extremen Bedingungen!«, fuhr der rechte Theseus fort.
    »Ihr wisst nicht, was euch erwartet!«
    »Ihr wisst nicht, was euch helfen kann, zu überleben! Und was euch umbringen wird!«
    Nach zwei Wochen Vorbereitung in der Klasse haben sie uns dann jede Woche in eine andere Vegetationszone gebracht, wo wir vor Ort lernen sollten, wie man sich in der Natur durchschlägt. Aber Theseus war immer irgendwo in der Nähe. Erst jetzt, in unserer letzten Woche, sind wir ganz auf uns gestellt. Ein Haufen Schüler mitten in den Bergen.
    Plötzlich stand einer von Theseus in der Tür zu unserem Zimmer. »Apollo Papadopulos! Überleben in Eis und Schnee! Zwanzig Kilo pro
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