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Die dritte Todsuende

Die dritte Todsuende

Titel: Die dritte Todsuende
Autoren: Lawrence Sanders
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    Manche Tage dauerten ewig; andere überlebten kaum das Morgengrauen. Sie erwachte voll fiebriger Erwartung, die jedoch verschwand, sobald sie sich ihrer bewußt wurde. Die Welt drang in sie ein. Wieder blieb vom Leben nichts als das Gefühl, überall von Feindseligkeit verfolgt zu werden.
    Zoe Kohler blinzelte. In der linken Hand hielt sie eine Brust, die so weich war wie ein lebloser Vogel; die rechte steckte zwischen ihren Schenkeln. Sie bemerkte das stumpfe Licht des späten Winters, das durch die herabgelassene Jalousie sickerte.
    Draußen, wußte sie, war der Tag grau wie Metall, keine Sonne, schwere Wolken. Die Luft roch nach Schwefel. Zoe hörte das Dröhnen des Verkehrs und das morgendliche, dumpfe Zuschlagen benachbarter Wohnungstüren. In einer Ecke ihres Schlafzimmers zischte höhnisch ein Heizkörper.
    Sie starrte die Zimmerdecke an und lauschte beunruhigt ihrem Innern: angeschwollene Organe, ein zu schneller Puls, der pochende Strom vergifteten Blutes. In ihrem Bauch verspürte Zoe den lastenden Schmerz, der sich mit dem Beginn ihrer Regel in stechende Krämpfe verwandeln würde.
    Sie schob die Decken beiseite. Sie setzte sich auf die Bettkante, gähnte, umarmte sich selbst, bog sich nach vorn. »Donnerstag«, sagte sie laut in den leeren Raum. »Dreizehnter März.«
    Ihre Stimme klang brüchig, außer Übung. Sie richtete sich auf, räusperte sich und versuchte es noch einmal: »Donnerstag. Dreizehnter März.« Jetzt klang es besser.
    Nackt stand sie auf, streckte sich und massierte ihre Kopfhaut mit den Fingerknöcheln. Einen Moment lang geriet sie ins Schwanken und hielt sich am Fußende des Bettes fest.
    »Manchmal verliere ich für kurze Zeit das Gleichgewicht«, hatte sie Dr. Stark erklärt. »Ein Gefühl, als könnte ich jeden Augenblick umfallen.«
    »Und wie lange dauert das?« hatte der Arzt gefragt, ohne den Blick von den Papieren auf seinem Schreibtisch zu lösen. »Ein paar Minuten?«
    »Nein, kürzer. Nur ein paar Sekunden.«
    »Wie oft?«
    »Ach… ab und zu.«
    »Nur vor Ihrer Periode?«
    Sie hatte einen Moment überlegt. »Ja, genau. Kurz bevor die Krämpfe anfangen.«
    Er hatte aufgeblickt. »Sie brauchen sich deswegen keine Sorgen zu machen«, hatte er ihr versichert.
    Aber sie machte sich Sorgen. Sie mochte dieses Gefühl der Orientierungslosigkeit nicht, so kurz es auch war, dieses Verlieren der Kontrolle über sich selbst.
    Sie schlurfte in die Küche, um die Kaffeemaschine anzustellen, die sie schon am Vorabend gefüllt hatte. Dann ins Badezimmer. Zurück im Schlafzimmer, verwandte sie fünf Minuten auf Lockerungsübungen, die sie langsam, beinahe träge ausführte.
    Danach ging sie wieder ins Bad, putzte sich die Zähne und massierte das Zahnfleisch. Sie stieg auf die Waage. Immer noch 124 Pfund. Seit dem Tag ihrer Heirat hatte ihr Gewicht nie um mehr als drei Pfund differiert.
    Da sie ihre Periode erwartete, duschte sie heißer als üblich. Sie seifte ihren Körper gründlich und sorgfältig ein, obwohl sie erst gestern vor dem Zubettgehen geduscht hatte. Während sie sich abtrocknete, blickte sie an sich hinunter und bedauerte — ohne zu begreifen warum —, daß sie glatte, unbehaarte Beine hatte.
    Im Schlafzimmer stellte sie das Radio neben dem Bett an. Die Stimme des Ansagers hatte irgendwie Ähnlichkeit mit der von Kenneth, und sie fragte sich, ob sein Scheck mit der Unterhaltszahlung pünktlich eintreffen würde.
    Sie zog sich rasch an. Mausgraue Strumpfhose, nicht zu durchsichtig. Derbe, durchbrochene Schuhe mit niedrigen Absätzen, weißer Rollkragenpullover, grauer Tweedrock mit breitem, dunkelgrauem Knautschledergürtel. Ihr Make-up beschränkte sich auf ein Minimum und wenige, blasse Farben. Sie verbrachte so wenig Zeit wie möglich vor dem Spiegel. Ihr kurzes braunes Haar brauchte kaum gekämmt zu werden.
    In einem Schrank über der Spüle in der Küche bewahrte Zoe Kohler ihre Medikamente, Vitamine und Naturheilmittel, ihre Pillen, Tropfen, Schmerztabletten und Beruhigungsmittel auf — eine Sammlung, die für den kleinen Schrank im Badezimmer viel zu groß war.
    An die Innenseite der Küchenschranktür hatte sie eine getippte Liste geheftet, aus der sie auf einen Blick ersehen konnte, welche Mittel an welchem Tag des Monats genommen werden mußten. Gelegentlich wurden neue Medikamente hinzugefügt. Gestrichen wurde keins.
    Sie füllte ein Glas bis zum Rand mit kaltem Grapefruitsaft. An diesem Donnerstagmorgen, 13. März, spülte sie schlürfend und schluckend
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