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Der Ring

Der Ring

Titel: Der Ring
Autoren: Paul Melko
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keine Pheromone. Wir können nicht zu ihrem Geist vordringen.
    Was jetzt? Zum Ring?
    Ja. Dort gibt es eine Krankenstation.
    Als wir Moira hochheben und auf den Rücksitz legen, öffnet sie die Augen, blinzelt und seufzt. Meda hält ihren Kopf.
    »Es war richtig so«, flüstert Moira ihrer Zwillingsschwester ins Ohr.
    Sie schafft es nicht mehr bis zum Ring.

MOIRA RING
     
    Wir betten Moiras Leichnam auf ein Sofa im Empfangssaal. Meda klammert sich an ihre Schwester, tupft immer wieder Salbe auf die Schnittwunden und Verbrennungen auf ihrem Gesicht, bis sie von Quant an die Hand genommen und zu einer Bank auf der anderen Seite des Raums geführt wird. Während sie sich in Quants strukturierten Geist flüchtet, in dem die ganze Welt einem klaren, sinnvollen Muster folgt, hüllen wir Moira in ein Tuch, das die Ring-KI bereitgestellt hat, und nähen sie ein.
    Die Zombies, meint Manuel. Wir müssen uns auch um die Zombies kümmern.
    Er hat Recht. Wir können nicht in Ruhe um Moira trauern, denn vor dem Tor steht, sitzt oder liegt die Interface-Armee, die uns bis hierher verfolgt hat. In der kalten Wüstennacht werden viele von ihnen erfrieren, wenn wir sie nicht in die Station bringen. Offenbar sind sie nicht in der Lage, für sich selbst zu sorgen.
    Solange wir uns klar und deutlich ausdrücken, folgen sie unseren Anweisungen aufs Wort; ein bisschen erinnern sie an die zerfallenen Pods, die wir im Dschungel gesehen haben. »In Zehnerreihen aufstellen und an den Händen nehmen«, befehlen wir ihnen und führen sie im Schneckentempo zum Tor. Die Ring-KI weist ihnen Zimmer mit Interface-Steckern zu, entführt sie in ein beruhigendes, idyllisches Universum und versucht, ihren Geist wiederherzustellen. Ohne ihren Kopf ist Letos Armee nicht lebensfähig.
    Leto und Moira sind die einzigen Toten. Als die Sonne aufgeht, begraben wir ihn in einem tiefen Loch, das wir mit dem Arboroboter ausgehoben haben. Manuel meißelt seinen Namen auf einen Findling, den Strom angeschleppt hat, und platziert ihn auf dem flachen Erdhügel.
    Moira können wir hier nicht begraben, sendet Meda.
    Wo dann? Auf der Farm?
    Nein. Da auch nicht.
    Bald ist unsere Entscheidung gefallen: Wir bringen sie fort von hier, möglichst weit weg von der Erde. Die Ring-KI führt uns zum Aufzug und befördert uns in die Höhe, hinauf zum Haupttorus. Wir blicken hinab auf die Erde, die mit tausend Stundenkilometern in die Tiefe stürzt, und lauschen dem Pfeifen der Luft. Als das Pfeifen verschwindet und durch ein lautloses Vakuum ersetzt wird, verdoppelt, verdreifacht, vervierfacht sich unsere Geschwindigkeit. Eliud, unser einziger Begleiter, starrt sprachlos auf die bläuliche Hülle der Erdatmosphäre, fasziniert von unserem rasanten Aufstieg. Oben angekommen, braucht es ein paar Minuten – und einen schmerzhaften Zusammenstoß mit der Decke –, bis er sich an die auf fünfzehn Prozent reduzierte Schwerkraft gewöhnt hat. Dann springt er den Korridor in großen Sätzen hinunter, aber als er sieht, wie wir Moira tragen, kehrt er um und übernimmt eine Ecke des Grabtuchs.
    Im Aufzug zum geosynchronen Orbit geht es noch schneller voran, so dass wir nach einer guten Stunde oben sind. Als die Kabine abbremst, muss Eliud aufhören, Luftpurzelbäume zu schlagen. Aber unsere Reise geht weiter: Mit einem dritten Lift fahren wir hinauf zum äußersten Ende des Stachels, wo die Zentripetalkraft alle Materie ins Weltall zerrt.
    Wir sind am Ziel. Wir bleiben stehen, sammeln uns um Moira und teilen ein paar letzte Gedanken. Nur Eliud kann nicht mit uns denken, und so fasst er seinen Abschied in Worte.
    »Mach’s gut, Moira.«
    Sonst wird nichts gesprochen.
    Strom legt einen Raumanzug an und trägt Moiras Körper in die Luftschleuse, wechselt ins Vakuum und hält sich am äußersten Rand der Kammer fest. Wir sehen zu, wie er sie loslässt, wir sehen zu, wie Moira von der Zentripetalkraft zu den Sternen gezogen wird.
     
    Erst auf dem Rückweg meldet sich die Ring-KI. »Das mit Moira tut mir sehr leid. Das werde ich nie gutmachen können.«
    »Wir haben unsere Pflicht getan«, erwidert Meda.
    Die KI zögert. »Ich hoffe, du wirst dir eine neue Pflicht suchen, Apollo.«
    »Was willst du noch von uns?«
    »Ich habe eine große Schuld geerbt. Meine Vorgängerin hat den Tod von Milliarden Menschen mitverschuldet. Die Geschichte darf sich nicht wiederholen.«
    »Willst du Letos Zweite Community fortsetzen?«
    »Nein, nicht Letos Community. Aber was soll ich mit den vielen Tausend
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