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Ertränkt alle Hunde

Ertränkt alle Hunde

Titel: Ertränkt alle Hunde
Autoren: Thomas Adcock
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Apparat... Im Moment bin ich nicht erreichbar... Hinterlassen Sie bitte Namen und Telefonnummer, ich werde so bald wie möglich zurückrufen... Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Tag.«
    Diesmal allerdings folgte darauf kein statisches Rauschen, und in der Stimme seines Anrufers lag kein Anklang an den Liffey. Die Stimme war schon irisch, aber geboren und aufgewachsen in New York. Er war ausgesprochen erleichtert.
    »Es ist Samstagmorgen, Father, und es geht um -«
    Er nahm den Hörer ab und sagte: »Ja, ja - wer spricht denn da? Ich bin hier.«
    »Neil Hockaday am Apparat, Father...«
    Seine Brust schmerzte, und er keuchte. Er bekreuzigte sich.
    »Father Tim, mit Ihnen alles in Ordnung?«
    Der Priester log. »Nur eine kleine Frühjahrserkältung.«
    »Tut mir leid, daß ich nicht früher angerufen habe...«
    Wieder log Father Tim, wie einsame Menschen es immer tun, wenn sie von denen um Verzeihung gebeten werden, die sie einsam machen. »Nun, ich weiß ja, wie es gehen kann.«
    »Ich muß Sie sprechen, Father.«
    Die Hände des Priesters zitterten. »Das klingt ja gerade so«, sagte er, »als wärest du in sehr großer Eile, mein Sohn.«
    »Das bin ich. Es bleibt nicht mehr viel Zeit.«
    »Ja«, seufzte der Priester, »so ist es.«
    »Und, kann ich Sie sehen?«
    »Natürlich, mein Sohn... allerdings nicht heute.« Heute, beschloß der Priester, würde er ins Kino gehen. Oh, was liebte er das Kino! Macht nichts, daß er es so viele Jahre von der Kanzel als Teil der kommunistischen Verschwörung gebrandmarkt hatte. Ein Priester hat das gleiche von Gott gegebene Recht auf Widersprüchlichkeiten wie jeder andere auch.
    »Dann am Sonntag?«
    »In Ordnung. Komm morgen zu mir.«
    »Ich werde kommen.«
    Der Priester dachte kurz nach, sagte dann: »Nicht hier. Treffen wir uns im alten Viertel. Ich werde die letzte Messe besuchen.«
    »Sie meinen, in der Holy Cross?«
    »Ja. Nach der Messe werde ich gern mit dir sprechen.«
    Nachdem die Verabredung getroffen war, nachdem Priester und Anrufer sich voneinander verabschiedet hatten, entschied Father Kelly sich für einen dritten Drink, bevor er zu den anderen nach unten ging. Whiskey würde ihm helfen so zu tun, als sei dies nur ein weiteres, schier endloses Wochenende unter den anderen müden alten Priestern. Whiskey und das Kino.
    Bevor er seinen Sessel verließ, legte er die von Tränen beschmierte Brille und das Taschentuch auf den Telefontisch. Das rote Lämpchen des Anrufbeantworters blinkte noch die nächsten sechsunddreißig Stunden, bis die Tonbandkassetten entfernt wurden.

5

    Ich legte auf. Meine Hand jedoch blieb noch einige Sekunden auf dem Hörer liegen, während ich darüber nachdachte, wie unbeholfen ich mit Father Tim gesprochen hatte. Aber immerhin: endlich hatte ich doch noch angerufen, und morgen würde ich ihn sehen.
    Ich nahm meine Hand vom Telefon und berührte wieder Ai-dan Hockadays Bild, das Foto, das jetzt ohne Rahmen flach im Koffer lag. Ich drehte es um und las noch einmal das Gedicht und spürte, daß ich beobachtet wurde. Aber nicht von einem Geist.
    Ruby stand in der Schlafzimmertür. Sie trug eines meiner alten Baumwollhemden, ein Knopf auf Taillenhöhe zugeknöpft und die Hemdschöße bis über die Knie. »Wie lange bist du schon auf?« fragte sie.
    »Noch nicht lange.«
    Sie beäugte meine halbleere Tasse und fragte. »Ist der frisch?«
    »Aufgewärmter Kaffee von gestern.«
    Sie verzog das Gesicht und marschierte durch das Chaos im Wohnzimmer zur Kochnische, wo sie in einem Teekessel Wasser aufsetzte, dann Kaffeebohnen mahlte und überhaupt eine Menge Lärm veranstaltete. »Ich sag’s noch mal«, sagte sie. »Junggesellen leben wie Bären mit Möbeln.«
    Ruby drehte sich zu mir um und rechnete vermutlich mit einer neunmalklugen Antwort. Aber was sollte ich groß sagen? Ich lebe wie ein Bär. Außerdem war ich damit beschäftigt, die Telefonnummer eines weiteren, lange Zeit vernachlässigten Freundes zu wählen. Als ich das Klingeln am anderen Ende der Leitung hörte, fragte ich Ruby: »Wie sehen deine Pläne für heute aus?«
    »Das soll heißen, ich bin heute allein?«
    »Ich muß mich mit jemandem treffen. Es ist wichtig.«
    Es klingelte weiter. Es war noch früh am Tag. Ich mußte ihm Zeit lassen.
    Ruby kam zu mir. Sie sah den leeren Bilderrahmen auf der Couch. Und das handgeschriebene Gedicht auf der Rückseite des Fotos.
    Sie nahm das Foto, las das Gedicht und gelangte zweifellos zu der gleichen Schlußfolgerung wie ich: eins und eins
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