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Ertränkt alle Hunde

Ertränkt alle Hunde

Titel: Ertränkt alle Hunde
Autoren: Thomas Adcock
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1

    Abgesehen von dem toten Priester war es ein erfreuliches Wochenende.
    Es war das Wochenende, an dem mir mit aller Deutlichkeit aufging, daß die Vergangenheit niemals vergangen ist, gleichgültig wie sehr wir auch immer versuchen, unsere Erinnerung zu planieren. Es war das Wochenende, an dem ich endlich beschloß, eine ernsthafte Figur in der Geschichte meines Lebens zu werden. Es war das Wochenende, mit dem der größte Fall meiner Laufbahn begann.
    Zunächst sah ich keinerlei Größe, eigentlich nicht einmal einen Fall. Andere allerdings reagierten sensibler auf die aktuellen Ereignisse und jene, die noch bevorstanden. Ruby zum Beispiel. Dann auch Captain Davy Mogaill, mein Rabbi. Wie der Captain sich ausdrückte: »Welchen größeren Fall könnte ein Detective knacken als das Geheimnis seiner eigenen Herkunft?«
    Diese Bemerkung ließ er an einem beschaulichen Nachmittag in Nugent’s Bar fallen. Diese kleine Weisheit neben anderen. Ich meinerseits erzählte meinem Rabbi von Ruby und dem traurigen Anlaß unseres für den folgenden Sonntagabend geplanten Fluges nach Dublin.
    Während wir bei unserer angenehmen, langen und alkoholgeschwängerten Unterhaltung beisammensaßen, mußte der alte Father Tim zweifellos zum ersten Mal begriffen haben, was ihn erwartete.
    Zurück zum Freitag, an dem alles anfing:
    Es war nach fünf an einem Nachmittag im April und zufälligerweise auch mein Geburtstag - allerdings verrate ich nicht,
    der wievielte. Ruby rief an, um mich davon in Kenntnis zu setzen, daß ich an diesem Abend einen netten Anzug und Krawatte tragen solle wegen dem, was sie vorhatte, und das war ein Dinner in irgendeinem feinen East-Side-Lokal, dessen Niveau nicht meinem entsprach. Dank Ruby gehören solche Ankündigungen heute zu meinem Leben.
    »Also, ich weiß nicht -«, sagte ich.
    Ruby fiel mir ins Wort. »Ich lade dich ein.«
    Worauf ich schnell erwiderte: »Wo gehen wir hin und wann?«
    Sie nannte mir die Adresse eines teuren Restaurants - dessen Namen ich schon oft unter Fotos gesehen habe, wenn die >Times< gerade mal wieder über einen Wohltätigkeitsball berichtete - und sagte, wir sollten uns dort um Punkt acht treffen. Womit mir zwei Stunden und fünfundvierzig Minuten blieben, um im Revier Feierabend zu machen, mir auf dem Nachhauseweg die längst überfällige Rasur und einen frischen Haarschnitt verpassen zu lassen, zu duschen und noch eine Weile in Shorts und mit einigen Fingerbreit Johnny Walker Red Label herumzusitzen, den Abholschein für meinen guten Anzug zu finden, der sich in der koreanischen Reinigung befand, und meine Schuhe mit den Troddeln zu wienern. Anschließend würde ich ein Taxi benötigen, vorzugsweise eines mit einem Fahrer, der auch ohne meine Hilfe wußte, wie er von meiner irdischen Wohnung in Hell’s Kitchen quer durch die Stadt zum Planeten namens Park Avenue kam. Ich war zuerst dort, und das nicht mal sonderlich pünktlich. Es war Viertel nach acht.
    Das Restaurant besaß einen dieser Namen, die irgendwer schrecklich schick fand, ich aber einfach nur schrecklich. Ich glaube, auf deutsch würde das Lokal heißen: Das Lama mit der paradoxen Garderobe. Am dezent beleuchteten Kommandoposten des Oberkellners vorbei, des maître d’hôtel, sah ich, daß sich im Speiseraum drängelte, was vielleicht jemand für die New Yorker Schickeria hielt: graue Eminenzen, die hofhielten für katzbuckelnde jung-dynamische Managertypen in Armani-Anzügen, ehemalige Frauen einstiger Potentaten, Onkel-Tom-Republikaner, unter Anklage stehende Wall-Street-Hechte, schillernde Ladys mit langen Beinen und kurzen Lebensläufen sowie ein Sortiment weißer Typen mittleren Alters mit Bifo-kal-Pilotenbrillen, Anzügen von Bijan und kleinen Pferdeschwänzen.
    »Oui, monsieur?« Der Oberkellner musterte mich verdrießlich mit Augen so schwarz wie seine Smokingjacke. Schließlich kräuselte er die Lippen, was ihn jahrelange Übung gekostet haben mußte, und fragte: »Puis-je vous aider?«
    Ich war nicht beeindruckt. Zufälligerweise weiß ich etwas über Frankreich, nämlich daß es ein Ort ist, wohin New Yorker reisen, wenn sie Unverschämtheiten suchen; statt nach Übersee zu reisen, tut’s zur Not auch jedes x-beliebige französische Restaurant in Manhattan. Außerdem besaß der Akzent von diesem Knaben viel zuviel vom Grand Concourse, wo eigentlich der Champs-Elysées sein sollte. Überdies kam ich mir in meinem anthrazitfarbenen Kammgarnanzug, der lachsfarbenen Krawatte und den nach Schuhwichse
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