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Erst mal bis zur nächsten Kuh...

Erst mal bis zur nächsten Kuh...

Titel: Erst mal bis zur nächsten Kuh...
Autoren: Jürgen Barth
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selber umarmt und ich mich auf den Weg mache. Ich denke über jene alte
Tradition nach, von der die Mönche von Rabanal auf ihrem grünen Zettel
schreiben: einen Stein mitnehmen und ihn am Cruz de Ferro, dem Eisenkreuz,
ablegen. Der Holländer fällt mir ein, dem ich vor Wochen in Frankreich begegnet
bin und mit dem ich an einem Abend zusammen gegessen habe im Gîte von Montcuq . Er hatte mir von seinen beiden Söhnen erzählt. Der
eine Junge war mit sieben Jahren ertrunken vor langer Zeit schon. „Ich habe
seinen Namen auf einen Stein eingravieren lassen“, hatte mir der Holländer
erzählt. „Diesen Stein habe ich in meinem Rucksack und will ihn am Cruz de
Ferro ablegen. Dann ist für mich der Weg zu Ende, der Rest ist Tourismus.“ Ich
bücke mich und hebe selber einen Stein auf, wäge ihn in meiner Hand, denke nach
über das Abgeben und über das Annehmen. Was möchte ich abgeben an Sorgen und
Nöten und quälenden Fragen, an Last und Belastung? Was gilt es anzunehmen an
Aufgaben und Verantwortung auf dem Lebensweg?
    Der Stein in meiner Hand wird mein Stein. Ich wasche ihn an einem
Brunnen am Wegrand. Oben am Pass lege ich ihn zu den vielen, vielen anderen
Steinen und schon im nächsten Augenblick wird er einer von ihnen, ich kann ihn
nicht mehr von den anderen unterscheiden.

Pilgermesse
     
    In Triacastela ist Pilgermesse abends
um 19 Uhr. Aber als ich dort auftauche, bin ich der Einzige und setze mich
vorsichtshalber mal ins hintere Drittel der Kirche. Der Pfarrer kommt und steht
hinter dem Altar. Er winkt mir nachdrücklich zu, bis ich nach vorne komme und
ihm, bevor er zu predigen anfängt, sicherheitshalber zuflüstere: „I don’t speak Spanish !“
Macht nichts! Er winkt ab und mir zugleich freundlich zu. Glücklicherweise
kommen jetzt doch noch ein paar andere Pilger, Franzosen vor allem, zwei
Holländer, wenige Spanier. Der Pfarrer teilt Zettel aus mit einem Text, für
jeden in seiner Sprache. Es ist sozusagen der Inhalt seiner wortreichen, langen
Predigt:
     
    „ Was bedeutet der
Weg nach Santiago?
     
    Etwas
im Bereich des geistlichen Lebens oder der Kultur?
    Tourismus?
Wanderlust oder Freizeitbeschäftigung.? Sport?
    Der
Camino entstand aus dem Glauben unserer Vorfahren.
    Dieser
Weg ist nicht dazu da, um sich den Kopf zu zerbrechen - er muss erlebt werden! Mancher Wanderer ist sich am Anfang gewiss
nicht bewusst, was er da tut, aber am Ende kommt er vielleicht zur Erkenntnis
seiner selbst und zur Erkenntnis Jesu.
    Der Weg
nach Santiago bedeutet: Gemeinschaft über die Grenzen der Völker hinweg. Das
schließt Überheblichkeit aus. Wir fühlen uns alle hier als eine große
Gemeinschaft, jeder ist ein Glied dieser wandernden Gemeinschaft.
    Der
Camino ist ein Finden zu sich selbst, ein Sich-Öffnen gegenüber dem Mitmenschen, ein Schmieden von Plänen, eine Zeit, Fehler zu
erkennen, eine Möglichkeit, zum Zeugen für Jesus Christus zu werden.“
     
    Schlussgebet und Segen teilen wir uns
in Französisch, Holländisch, Spanisch und Deutsch. Ich darf für die anwesenden
Deutschen — also für mich - die deutsche Fassung lesen.
    Das Evangelium ist international, denke
ich beim Hinausgehen und freue mich darüber. Das Problem der Pfarrer ist, dass
sie meinen, sie müssten viele Worte machen. Auch das ist wohl international,
merke ich an diesem Abend, und überlege, welche Konsequenzen ich für mich
selbst daraus ziehen könnte.

Das kleine Compostella
     
    Manchmal versuche ich mir vorzustellen,
wie es früher war auf dem Jakobsweg. An einer jahrhundertealten Brücke, in
einer alten Kirche, an alten Wegzeichen sinne ich darüber nach, wer hier alles
schon vorbeigegangen sein mag. Wenn Steine erzählen könnten! Wie viele
Geschichten, Abenteuer, wie viel Kummer wohl auch, Traurigkeit, Erwartung,
Hoffnung. Es ist unvorstellbar! Wie war es damals, als es noch keine klare
Wegmarkierung gab, keine Telefonverbindung nach Hause, kein Pilgermenü, keine Bar
mit „ café con leche “, dafür
Räuber, die aus dem Nebel kamen? Für manche Pilger war der Abschied von zu
Hause ein Abschied für immer, sie kamen nie in Santiago an, blieben auf der
Strecke, starben an Krankheit unterwegs. In Villafranca del Bierzo steht am
Ortseingang auf einem Hügel die Santiagokirche, eine einstige Ablasskirche.
Dort konnten todkranke Pilger, die zu schwach waren für den weiteren Weg in den galicischen Bergen mit La Faba und O Cebreiro, die
Absolution empfangen, so als ob sie in Santiago gewesen wären. „Puerta del
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