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Frostnacht

Frostnacht

Titel: Frostnacht
Autoren: Jennifer Estep
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Ich war gefangen.
    Ich tigerte von einem Ende des Raumes zum anderen, drehte mich auf dem Absatz um und eilte zurück in die andere Richtung. Ein paar Schritte später erreichte ich die gegenüberliegende Wand, also rotierte ich einmal um meine eigene Achse und wiederholte das Ganze. Ich stiefelte hin und her und hin und her, während meine Gedanken von einem Thema zum nächsten schossen.
    Meine Freunde auf der Mythos Academy. Meine Suche nach Artefakten. Was Agrona, Vivian und der Rest der Schnitter des Chaos wohl als Nächstes planten. Die Frage, wo Logan sich aufhielt.
    Mein Herz zog sich bei dem Gedanken an Logan zusammen, und mein Fuß blieb im unteren Teil eines Netzes hängen, das über der Rückenlehne meines Schreibtischstuhls hing. Ich stolperte und schaffte es gerade noch, mich zu fangen, bevor ich vornüber auf mein Bett knallte.
    Ich kämpfte mich wieder auf die Beine und starrte das Netz böse an. O sicher, es wirkte total harmlos, wie es da hing … als wären Stränge von hellgrauem Seegras aus der Lehne des Stuhls gewachsen. Angeblich hatte das Netz Ran, der nordischen Göttin der Stürme, gehört. Um ehrlich zu sein, präsentierte es sich nicht gerade als das beeindruckendste aller Artefakte. Das Seegras war rau und verknotet und schien so abgewetzt und spröde, als könnte es zu Staub zerfallen, wenn jemand es auch nur scharf ansah. Doch ich hatte auf die harte Tour gelernt, dass der Schein trügen konnte, besonders in der mythologischen Welt. Trotzdem musste ich wahrscheinlich froh sein, dass ich das Netz beim Drauftrampeln nicht zerstört hatte.
    Ich besaß es jetzt seit ein paar Tagen – seit ich es im Kreios-Kolosseum gefunden hatte –, und ich hatte immer noch keine Ahnung, was so besonders daran sein sollte. Ich hatte nicht mal große Schwingungen davon aufgefangen.
    Doch mächtige Artefakte zu finden und sie vor den Schnittern in Sicherheit zu bringen war die aktuelle Aufgabe, die Nike, die griechische Göttin des Sieges, mir übertragen hatte. Die meisten Leute kannten mich als Gwen Frost, das seltsame Gypsymädchen, das Gegenstände berührte und Dinge sah. Aber ich war auch Nikes Champion, das Mädchen, das die Göttin auserwählt hatte, um in der Welt der Sterblichen ihren Willen zu vollstrecken.
    Ich, ein Champion. Manchmal konnte ich es immer noch nicht glauben. Aber Nike war sehr real, genau wie der Rest der mythologischen Welt mit all ihren Göttern, Göttinnen, der Magie, den Kreaturen, Artefakten und Krieger-Wunderkindern.
    Mein Kopf wollte von Gedanken überquellen, aber ich drängte sie zur Seite. Stattdessen schob ich den Stuhl näher an den Schreibtisch, sodass ich nicht noch mal über das Netz stolpern konnte, und nahm meine unruhige Wanderung wieder auf. Hin und her, hin und her, von einer Seite meines Gefängnisses zur anderen …
    »Würdest du bitte mit dieser Trampelei aufhören?«, knurrte ein paar Minuten später eine Stimme mit kühlem englischem Akzent. »Du machst es mir unmöglich , mein Nachmittagsschläfchen zu halten, zur Vorbereitung auf das nächste Gemetzel unter Schnittern.«
    Ich sah zur Wand, wo neben den Postern von Wonder Woman, Karma Girl und The Killers ein Schwert in einer schwarzen Lederscheide hing. Ein purpurnes Auge am Heft war weit geöffnet und starrte mich böse an, während der Rest des Gesichts der Waffe – eine Nase, ein Ohr und ein Mund – zu einem Schmollen verzogen war.
    »Wirklich, Gwen«, tadelte mich Vic, mein sprechendes Schwert, noch einmal. »Manche hier versuchen zu schlafen. Nicht wahr, Fellknäuel?«
    Aus einem Korb in der Ecke erklang ein zustimmendes Bellen. Nyx, die kleine Fenriswölfin, die ich aufzog, war mit ihrem dunkelgrauen Fell und den purpurnen Augen unglaublich süß, aber sie hatte die nervige Angewohnheit, einfach allem zuzustimmen, was Vic sagte.
    »Schön«, grummelte ich und ließ mich aufs Bett fallen. »Dann höre ich eben auf zu tigern.«
    Okay, okay, ich war nicht wirklich gefangen. Aber in letzter Zeit fühlte sich mein Zimmer an wie ein Gefängnis, besonders seit vor der Tür meistens eine Protektoratswache stand. Ich schob den Vorhang zur Seite und schaute durch eines der Buntglasfenster. Aiko, eine zierliche Ninjafrau von vielleicht Mitte zwanzig, lehnte an einem Baum, wie sie es schon tat, seit ich vor einer Stunde zurückgekommen war. Aiko trat von einem Fuß auf den anderen, sodass die Falten ihrer grauen Robe sich um ihre schlanke Gestalt bewegten und mich einen kurzen Blick auf ein Kurzschwert
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