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Erst mal bis zur nächsten Kuh...

Erst mal bis zur nächsten Kuh...

Titel: Erst mal bis zur nächsten Kuh...
Autoren: Jürgen Barth
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ausgeschildert! Es
fängt bald zu regnen an. Nach den ersten zehn Kilometern bin ich schon nass bis
auf die Haut.

Die Nacht in Märstetten
     
    In Märstetten ist eine Pilgerherberge, die von Freiwilligen
aus dem Ort versorgt wird, die einzige in der Schweiz. Das weiß ich aus meinem
kleinen Reiseführer für den Schweizer Jakobsweg. Es ist ein schönes, großes Fachwerkhaus,
und als ich ankomme, fangen grade die Glocken zu läuten an, die Glocken der
Jakobskirche von Märstetten . Wenn das nicht ein gutes
Zeichen ist!
    So
gehe ich erst mal zur Kirche und nicht zur Pilgerherberge. „Kommen Sie doch
herein, es ist ein Konzert“, sagt ein älterer Herr im schwarzen Anzug an der
Kirchentür. „Und es kostet keinen Eintritt!“ Musik aus dem Frühbarock -
Heinrich Schütz vor allem, wunderschön. Ich sitze in der letzten Bank und
streife unbemerkt meine Wanderschuhe von den müden Füßen. Aber dann sitze ich
plötzlich auf glühenden Kohlen, male mir aus, ich käme nachher zur
Pilgerherberge zurück und es sei kein Platz mehr frei. Bin ich eigentlich
verrückt, ohne Quartier einfach ins Konzert zu gehen?
     
    Aber
als ich anschließend in der Pilgerherberge aufkreuze, bin ich der einzige
Jakobspilger an diesem Tag. Das ganze Haus gehört mir! Im Wohnzimmer steht ein
Regal mit Literatur zum Jakobsweg. Lauter Beschreibungen, wie toll das sei und
wie viele Erfahrungen man da mache und so weiter. Ich blättere nur kurz darin,
das alles reizt meine Nerven zum Widerstand. Ich habe wenig gelesen im Vorfeld
dieser Reise. Fast haben mich die vielen Bücher, die ich seit einiger Zeit in
den Buchhandlungen habe liegen sehen, dazu gebracht, überhaupt nicht den Jakobsweg
zu gehen. Die Vorstellung von massenhaften Pilgerströmen, Wanderern mit
Jakobsfähnchen, Muscheln und Jakobshemden schrecken mich ab wie jede
Massenbewegung und jede Massenveranstaltung. Wo ich doch die Einsamkeit suche!
Aber wie viel Einsamkeit ertrage ich?
     
    Zehn
Pilgerregeln hängen in der Herberge an der Wand. Sie sprechen mich an. Und ich
schreibe sie auf die dritte Seite in meinen Pilgerpass.
     
    Geh!
    Es gibt fürs Pilgern kein besseres
Fortbewegungsmittel als das Gehen.
    Geh langsam!
    Setz dich nicht unter Leistungsdruck!
    Du kommst doch immer nur bei dir selber an.
    Geh leicht!
    Reduziere dein Gepäck!
    Es ist ein gutes Gefühl, mit wenig
auszukommen.
    Geh einfach!
    Einfachheit ist die Voraussetzung für
spirituelle Erfahrung.
    Geh alleine!
    Du kannst besser in dich gehen und offener
auf ändere(s) zugehen.
    Geh lange!
    Auf die Schnelle wirst du nichts verstehen.
    Geheimnisse erschließen sich nicht sofort.
    Geh achtsam!
    Wenn du bewusst gehst, lernst du den Weg
anzunehmen, wie er ist.
    Geh dankbar!
    Alles, auch das Mühsame, hat seinen Sinn.
    Geh weiter!
    Auch wenn Krisen dich trejfen an deinem wunden Punkt - vertraue darauf: es geht, wenn man geht!
    Geh mit Gott!
    Wenn Gott für dich fern ist, können die
Ge(h) bote 1—9 helfen, ihn in dir wiederzuentdecken.
     
    Als
ich mich in eines der Betten lege, liegt auf meinem Kopfkissen ein kleines
Kärtchen mit dem Satz von Dag Hammarskjöld: „Die längste Reise ist die Reise
nach innen.“
     

Zu Besuch bei der heiligen Idda in Fischingen
     
    Blühende
Bäume, gelbe Wiesen im Thurgau, der Kuckuck ruft und die Sonne scheint . Im Kloster Fischingen übernachte ich in einer ehemaligen Klosterzelle. Ich lerne die Geschichte der
heiligen Idda kennen, die hier vor 800 Jahren gelebt
hat. Ihr Ehemann, ein Graf, muss ein rechter Choleriker gewesen sein, er
bezichtigte sie des Ehebruchs und warf sie kurzerhand aus dem Fenster seiner
Burg in die Tiefe. Als es ihm später leid tat und er seinen Irrtum erkannte,
wollte er seine Gemahlin zurückholen, aber da war es zu spät. Idda wollte nicht mehr, lebte lieber in Frieden in einer
Klause im Wald, weihte ihr Leben Gott und wurde nach ihrem Tod als Heilige
verehrt. Heute können müde Pilger ihre schmerzenden Füße in eine Öffnung im
    Grabmal
der heiligen Idda stecken in der Hoffnung auf
Linderung. Meine Füße schmerzen zwar, aber um sie der heiligen Idda anzuvertrauen, bin ich doch zu protestantisch.
    Nach Fischingen geht es über den Gipfel des Hörnli mit herrlicher Rundumsicht, aber als ich oben eine
Suppe löffle, donnert es schon und bald zieht Regen auf. Drunten in Gibswil bin ich völlig durchnässt, der Himmel ist trüb, und
ich stelle mich beim Gasthaus unter. „Heute Ruhetag“ steht auf einem Schild.
Was mache ich jetzt? Ich bin zu müde, zu
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