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Erst mal bis zur nächsten Kuh...

Erst mal bis zur nächsten Kuh...

Titel: Erst mal bis zur nächsten Kuh...
Autoren: Jürgen Barth
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nass, zu schlapp, um noch
weiterzugehen und frage einen Mann, der gerade um die Ecke biegt, nach einer
Unterkunft. „Das kann ich arrangieren“, sagt er im schönsten Schweizerdeutsch
und klingelt im geschlossenen Gasthof — und schon habe ich ein kleines Zimmer
unterm Dach. Was macht man in Gibswil nachmittags um
vier, wenn es in Strömen regnet und der einzige Gasthof auch noch geschlossen
ist? Im kleinen Lebensmittelladen nebenan kaufe ich mir eine Brezel, eine Tafel
Schokolade und einen halben Liter Weißwein. Eine Zeitung? „Haben wir nicht,
aber im Nachbarort gibt’s einen Kiosk... “ Nur ein paar Minuten mit dem Auto
entfernt, aber ein Fußpilger hat kein Auto. Ich widerstehe der Versuchung, die
Fernsehprogramme in meinem Dachzimmer hoch- und runterzuschalten, lege mich ins
Bett, lese die Psalmen und bin schon kurz nach acht Uhr eingeschlafen.
     
    Es
regnet und regnet. „Ein Jakobspilger!“, ruft der Mann im Touristenbüro von
Einsiedeln voller Begeisterung, als ich klatschnass dort auftauche und nach
einer günstigen Unterkunft frage. Er schickt mich ins Pilgerhotel Sankt Josef,
wo mich die freundliche Wirtin warmherzig aufnimmt. Gleich gegenüber ist die
imposante Klosterkirche, durch die sich die Touristenströme schieben. Ich höre
den Mönchen zu, die am Abend die Vesper singen und anschließend im großen Zug
durch die Kirche ziehen - ein wenig roboterhaft, fast gespenstisch, aber
zugleich voller Würde und anrührend. Am Abend sitze ich ganz alleine in der
Kirche, ich erspüre die Harmonie, das Überschäumende, Gewaltige, und die Kirche
beginnt mich mehr und mehr zu faszinieren.

Backpacker
     
    Backpacker
nennt man die Rucksacktouristen, und in gewisser Weise bin ich jetzt einer. In
manchen Hotels gibt es günstige Übernachtungsmöglichkeiten für Backpacker -
Mehrbettzimmer mit Etagenbetten und den sanitären Anlagen auf dem Flur. In
Schwyz übernachte ich im Backpackerhotel. Ich bin allein im Zimmer mit zwölf
Betten, im Nebenzimmer sitzen ein paar rauchende Dauermieter vor dem dauernd
angeschalteten Fernsehapparat und braten sich Spiegeleier. Gegenüber auf der
anderen Straßenseite ist eine Diskothek, die ganze Nacht laute Gespräche und
Gelächter. Ich schlafe schlecht. Am anderen Morgen ist mein Geburtstag.
    Ich
mache mir selber ein Geburtstagsgeschenk: eine Fahrt über den Vierwaldstätter
See von Brunnen nach Beckenried. Dort setze ich mich eine Weile still in die
schöne helle Barockkirche am See, zünde eine Kerze an, singe aus vollem Herzen
„ Laudate omnes gentes , laudate Dominum - lobet den Herrn, alle Völker!“ Ich fühle mich
aufgehoben und geborgen in dieser Kirche und schreibe in das aufliegende Buch
hinein: „Danke, dass DU mich begleitest!“ Abends sitze ich allein an einem
Tisch in einem vollen Lokal, will mir an meinem Geburtstag etwas gönnen und
bestelle einen „Fitness-Teller“. „Wird man davon auch satt?“, erkundige ich
mich bei dem Mädchen, das mich bedient. Sie schaut mich an, als hätte ich etwas
Unanständiges gefragt und bringt mir einen Riesenteller mit vielen bunten
Salaten. Am nächsten Tag frage ich am Thuner See einen jungen Mann auf der
Straße: „Gibt es hier im Dorf eine Übernachtungsmöglichkeit?“ „Kommt drauf an“,
antwortet er und betrachtet mich von oben bis unten: „was Sie damit meinen. Da
hinten gibt’s Zimmer zum Übernachten.“ Ich frage weiter. „Würden Sie dort Ihre
Tante hinschicken?“ Er lacht. „Nein, das nicht! Schauen Sie halt mal vorbei.“
Ich bin verunsichert und spreche ein Ehepaar an, das vor einem Haus in der
Abendsonne sitzt. „Kann man da hinten übernachten?“ Die Frau schaut mich an und
sagt schmunzelnd: „Sie schon, aber wenn Sie eine Frau wären, dann wär’s nicht
so gut.“ Ach so, denke ich, lasse es lieber und gehe weiter.
    In
Interlaken betreibt die methodistische Kirche eine Backpackerunterkunft, eine
Nichtraucherherberge. Zwei Mädchen sitzen am Empfang, sie sind gleich per Du mit mir. „Ich hoffe, das ist dir recht so“, sagt die
eine. Sie strahlen über das ganze Gesicht. Ihre Freundlichkeit ist ansteckend.
Am anderen Morgen ist Christi Himmelfahrt. Die beiden Mädchen teilen strahlend
das Frühstück aus. „Warum seid ihr so fröhlich?“, frage ich sie. „Weil heute
Auffahrt ist“, sagt die eine. „Wenn man den Frieden im Herzen hat, dann ist man
fröhlich.“ Was für ein Satz! Und er wirkt bei diesem Mädchen gar nicht
aufgesetzt, man spürt: sie meint es tatsächlich so, wie
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