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Erst mal bis zur nächsten Kuh...

Erst mal bis zur nächsten Kuh...

Titel: Erst mal bis zur nächsten Kuh...
Autoren: Jürgen Barth
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Begegnung
     
    In St.-Maurice-de-Rotherens im dortigen Gîte regiert Louis,
„eine interessante Persönlichkeit und sehr gastfreundlich“. So steht in meinem
kleinen Führer zu lesen. Dort will ich übernachten. Und Louis ist tatsächlich
ein Original. Sein Haus hat den Charakter einer Baustelle, man hat das Gefühl,
es ist alles noch nicht ganz fertig -offene Türen, Betonfußboden und unverfugte
Treppenstufen, unverputzte Elektroleitungen, dann wieder Teppiche und Kommoden
mit Spitzendeckchen. „An Notre-Dame in Paris haben
zehntausend Arbeiter hundert Jahre lang gearbeitet“, sagt Louis, „und ich bin
allein und habe erst vierzig Jahre an diesem Haus gebaut. Ich habe also noch
sechzig Jahre Zeit!“
    Meinen
Vornamen kann kein Franzose aussprechen, ich habe ihn deshalb längst in seiner Urform
ins Französische übersetzt und bin auf dem Jakobsweg „Georges“. Louis hat schon
die erste Flasche aufgemacht - Aperitif. „A votre santé, Georges!“, ruft er und schenkt gleich noch mal ein. Die Katze liegt
behaglich ausgestreckt auf dem Nachbartisch in der Abendsonne, als Louis die
Suppe bringt und zum Diner einlädt. Mittlerweile hat er auch den Rotwein
entkorkt. Was ich denn von Beruf sei, will er wissen. „O, Georges le pasteur !“, ruft er freudig aus und schenkt wieder ein.
Angelika und Reinhard sind auch da. „Ich habe heute Geburtstag!“, ruft Louis
beim Dessert und holt eine Flasche Sekt aus dem Kühlschrank. Er zaubert einen
Kuchen auf den Tisch und verteilt alles großzügig. „Santé!“ „Ich kann das alles
nicht trinken“, lacht Angelika und schüttet ihren Rotwein in einem
unbeobachteten Augenblick in den Blumentopf. Am Ende des Abends zeigt Louis
sich noch von einer ganz anderen Seite. Er habe eine eigene Kapelle im Haus,
sagt er unvermittelt.
    Ich
kann es mir nicht so recht vorstellen. Aber er lädt uns ein, er will uns seine
Kapelle zeigen. So steigen wir hinaus ins Freie ums Haus herum und betreten
seine Hauskapelle, eine Art Garage oder Schuppen: brennende Kerzen, ein Altar,
Figuren der Jungfrau Maria und des Apostels Jakobus. „Das ist nichts für dich, Georges! Vous êtes Protestant“, sagt
Louis schmunzelnd und deutet auf die Jungfrau Maria. Zwei Glasfenster zeigen
den Propheten Elia, den am Bach Krith die Raben
füttern, und die Emmausjünger , denen der
auferstandene Christus begegnet. Louis erklärt uns ganz ernst und gesammelt,
dass diese beiden Geschichten aus der Bibel ihm besonders wichtig sind: Elia,
der am Ende ist und den Gott versorgt mit rätselhafter Speise, und die Jünger,
die am Ende sind, und denen Christus, der Auferstandene, das Brot des Lebens
reicht.
    Das
ist es, was in der Kirche geschieht, denke ich: Wenn wir am Ende sind, wird uns
das Brot gereicht. Louis reißt mich aus meinen Gedanken. „Und nun ein Gebet,
Georges, mit Elia und Emmaus!“, fordert er mich auf. So endet der weinselige
Abend sehr besinnlich. Wir stehen in diesem schlichten dunklen Raum, singen und
beten und zünden am Schluss alle eine Kerze an, die wir vor das Bild des
Apostels Jakobus stellen.

Accueil jacquaire
     
    Einige
Privatleute engagieren sich am Jakobsweg, indem sie den durchziehenden Pilgern
ein Bett und etwas zu essen anbieten. Sie haben kein finanzielles Interesse,
sondern wollen auf diesem Weg mit den Pilgern in Kontakt und ins Gespräch
kommen. Und am Schluss kann man etwas bezahlen nach eigenem Gutdünken: „ Vous donnez ce que vouz voulez .“ - Sie geben, was Sie wollen. „Accueil jacquaire “ nennt sich das, Jakobsempfang. In St. Genix , einem hübschen Ort am Flüsschen Guiers ,
habe ich eine Liste mit Adressen erstanden von allen, die ein solches Angebot
machen. Mein Ziel ist an diesem Tag Vieux Saint Ondras , wo Maryse und Bernard wohnen. Ich hoffe, dass ich
dort am Abend Unterkommen kann.
    Vieux Saint Ondras ist
winzig. Als ich klingle, kommt Maryse an die Gartentür und sagt fröhlich: „Ich
habe den Hund vom Nachbarn bellen hören, da habe ich gedacht: Sicher kommt ein
Pilger.“ Maryse und Nachtgebet in der Kirche. Die Schwestern singen die Psalmen
in französischer Sprache im Wechsel. Zum Abschluss der Komplet verlöschen die
Lichter, nur vor der Marienikone brennen noch ein paar Kerzen. Stehend singen
die Karmeliterinnen das Salve Regina: „Salve regina , mater misericordiae , vita , dulcedo et spes nostra , salve Lobgesang auf Maria. Dann knieen sie schweigend für
einige Zeit, nichts rührt sich, nur die leichte Bewegung der flackernden Kerzen
ist
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