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Erst mal bis zur nächsten Kuh...

Erst mal bis zur nächsten Kuh...

Titel: Erst mal bis zur nächsten Kuh...
Autoren: Jürgen Barth
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spürbar, bevor eine nach der anderen still die Kirche verlässt nach einer
tiefen Verbeugung vor der Ikone.
    In
ihrer Schlichtheit ist diese Andacht, dieser Abschluss des Tages, eine
intensive spirituelle Erfahrung für mich. Es gibt Momente im Leben, da hat man
das Gefühl, man ist schon drin im Himmel. Für mich ist dies so ein Moment, oben
auf dem Hügel, am späten Abend im Kloster Carmel Notre-Dame de Surieu .
    „ Elie marcha 40 jours et 40 nuits jusqu’à la montagne de Dieu , l’Horeb , où il contempla Dieu dans la brise légère ”, lese ich in einem kleinen Handzettel über
das Kloster. Mein Französisch ist nur mangelhaft, aber meine Bibelkenntnis ist
natürlich besser, ich kenne die Geschichte vom Propheten Elia, der am Ende
seiner Kraft ist und der am Gottesberg Gott begegnet. Diese Geschichte ist
einer der stärksten Texte im Alten Testament. So kann ich ohne Schwierigkeiten
übersetzen: „Elia ging 40 Tage und 40 Nächte bis zum Gottesberg, dem Horeb , wo er Gott anschaute in einer leichten Brise“...
Gott begegnet in der Stille, in einem stillen, sanften Sausen, einem leisen
Säuseln, im Flüstern eines leisen Wehens oder - wie Martin Buber das genannt hat - in einer Stimme verschwebenden Schweigens.
    Ich
spüre, dass sich die Nonnen von Surieu in dieser
Tradition sehen, wie der Prophet Elia offen zu sein für den Windhauch, jene „ brise legere“, jene leichte Brise, jenes Schweigen, in dem
Gott begegnen kann.

Protestantische Ernüchterung
     
    Die
Gegend um Mazet ist protestantisch, lese ich in
meinem kleinen Führer, und dort wohnen die „ sœurs protestantes “, die um die Einheit der Kirche beten und auch
Jakobspilgern eine Übernachtungsmöglichkeit bieten. Da werde ich hellhörig.
Nach so viel Katholizismus reizt es mich natürlich sehr, jetzt das evangelische
Äquivalent kennen zu lernen und die Spiritualität einer evangelischen
Schwesternschaft im katholisch geprägten Frankreich zu erfahren. Das Problem: Mazet-St . Voy ist sechs Kilometer
abseits des Weges. Was für Autofahrer nicht der Rede wert ist, das ist für
einen Fußgänger schon reiflich zu überdenken. Sechs Kilometer Landstraße, das
bedeutet: sechs Kilometer hin und am anderen Tag sechs Kilometer zurück, also
zwölf Kilometer Weg. Mit drei Stunden Gehzeit muss man rechnen. Soll ich es
wirklich tun? Ich habe auf dem bisherigen Weg keine Umwege gemacht, keine
Besichtigungseskapaden, denn wenn ich damit anfange, komme ich nie an ein Ziel.
Aber das Unternehmen reizt mich. Und wann werde ich jemals noch einmal hierher
kommen? Vielleicht wartet ein besonderer Gedankenanstoß, eine wichtige
Erfahrung auf mich bei den „ sœurs protestantes “.
Es ist heiß, ich fülle meine Wasserflasche an der hübschen kleinen Kirche von
St. Jeures , in der ich einige Zeit sitze, und breche
auf. Auf dem Weg entlang der Landstraße versuche ich meine Gedanken zu ordnen
und lege mir auch ein paar Fragen in meinem einfachen Französisch zurecht: Was
ist der Unterschied in der Frömmigkeit zwischen den evangelischen und den
katholischen Schwestern? Gibt es Ökumene? Und was ist eigentlich das
Evangelische in einer evangelischen Schwesternschaft?
    Aber
alles kommt ganz anders. Zunächst einmal sind die sechs Kilometer in
Wirklichkeit acht Kilometer, nach jedem Hügel kommt noch einmal ein Hügel.
Endlich die Kirche St. Voy , eine kleine alte
romanische Kirche, der heiligen Fides geweiht. In der Kirche liegt ein Plakat:
Die Schwestern machen Urlaub im Juni, und der „ accueil “
ist „ fermé “. Ich lese es etwas ungläubig, denn die
Kirche ist ja offen. Aber die „ sœurs protestantes “ machen wirklich Ferien. Eine Schwester, die
ich treffe, erklärt mir, ich hätte anrufen müssen, wenn ich hierher komme,
jetzt sei eben nichts zu machen. Eine zweite Schwester kommt dazu, sie ist wohl
eher bereit, den müden Jakobspilger aufzunehmen, aber die andere bleibt hart.
Es muss Regeln und Prinzipien geben.
    Und
außerdem gebe es ja ein Gasthaus am Ort, in dem ich schlafen könne. Der Hinweis
auf den „ pasteur protestant “
nützt hier nichts. Auch der Pasteur kann schließlich im Gasthaus schlafen.
    Ich
gehe noch einmal zurück in die kleine romanische Kirche St. Foy ,
setze mich und versuche mich zu beruhigen. Ich bin wütend und auch enttäuscht.
Sollte das meine Kirche sein? Was nützt die schönste alte Kirche, wenn so wenig
vom Evangelium zu spüren ist? L’Escuelle heißt das
Gasthaus. Dort gibt es ein bodenständiges Menü mit
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