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Abaton

Abaton

Titel: Abaton
Autoren: C Jeltsch
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PROLOG
    [ 1P01 ]
    Die rettende Botschaft an die nachkommenden Generationen war fast fertig. Bernikoff hatte nur noch wenige, aber entscheidende Hinweise hinzuzufügen. Also machte er sich am Morgen des 2. Mai noch einmal auf den gefährlichen Weg, um die Botschaft zu vervollständigen. Weder seine Wunde am Arm noch die Sirenen, die einen neuen Luftangriff ankündigten, konnten ihn davon abhalten. Im Gegenteil. Bernikoff wartete, bis sich der bedrohlich singende Ton über die Stadt erhob wie ein riesiger Greifvogel und Besitz von ihr und den Menschen ergriff. Vom Fenster seiner Souterrainwohnung aus schaute er zu, wie die Frauen und Kinder der Nachbarschaft in die wenigen noch nicht zerstörten Keller der Straße verschwanden. Dann nahm er die drei kräftigen Pinsel und die Eimer mit den Spezialfarben und eilte hinaus. Er schloss die drei Türschlösser ab, versteckte die Schlüssel wie immer hinter dem Ziegelstein, den man aus der Mauer ziehen und zurückstecken konnte, ohne eine Spur zu hinterlassen. Wenn man ihn erwischen sollte, wollte Bernikoff keine Schlüssel bei sich tragen. Nichts sollte auf seine Wohnung hinweisen. Nichts auf die Kammer hinter seiner Wohnung. Das, was dort verborgen war, durfte niemand anderem in die Hände fallen. Noch nicht. Noch war die Zeit nicht reif und erst recht nicht waren es die Menschen.
    Der Alarm peinigte die Stadt. Die Straßen, die Häuser. Das Heulen der unzähligen Sirenen durchdrang jede Mauer, jeden Schutz. Bernikoff wusste das. Er wusste alles über Schall und Wellen und ihre Wirkung. Über Energie und Frequenzen ... Das war das Geheimnis, das er in seiner Kammer entschlüsselt hatte. Genau das war das Wissen, das er den Menschen mitteilen musste. Behutsam. Ein Wissen, das in Zukunft alle Kriege verhindern könnte.
    Uni-versum, dachte Bernikoff. »Universum« – heißt das nicht »ein Lied«? Wenn die Sirenen auf den Dächern doch nur auch ein wunderschönes, ein lockendes Lied singen würden; wie die Sirenen für Odysseus. Aber was sie sangen, war das Lied der Angst, des Todes und der Zerstörung. Das Lied, vor dem sich die Menschen am meisten fürchteten und das ihre Leben und ihre Lieben zerstörte.
    Bernikoff hielt abrupt inne. Patrouillen waren unterwegs, die jeden, der sich noch auf den Straßen zeigte, in die Bunker trieben. Sie durften Bernikoff unter keinen Umständen entdecken. In den letzten Tagen waren Menschen schon für kleinere Vergehen einfach erschossen worden. Weil man glaubte, sie seien Plünderer.
    Im Schatten der Ruinen huschte Bernikoff weiter; wie ein Geist. Von Dunkel zu Dunkel. Von der Dorotheenstraße bog er links ab in die Friedrichstraße. Vor den Trümmern des berühmten Wintergartens blieb er stehen. Wie oft hatten sich die kriegsmüden Menschen hier in den letzten Jahren von den Vorstellungen großartiger Artisten verzaubern lassen; unter der Kuppel aus Tausenden von Sternenlichtern. Wie viele Nächte hatten sie hier den Alltag vergessen und Inspiration und Magie getankt für den grauen, immer düsterer werdenden Alltag. Da prangte immer noch das Plakat, das für die letzte Vorstellung eines berühmten Magiers und Hypnotiseurs geworben hatte, bevor der Palast von einer Bombe getroffen wurde. Der Große Furioso fixierte vom Plakat herab die Menschen, die daran vorübergingen. Er trug den Turban eines Sikh, ein Edelstein auf seiner Stirn symbolisierte das Dritte Auge. »Der Große Furioso – liest Ihre Gedanken und entführt Sie in eine Welt des Staunens!«
    Bernikoff schaute nicht auf Furioso, sein Blick wanderte zu der fast durchsichtig scheinenden jungen Frau weiter, die hinter dem Magier abgebildet war. Ein trauriges Lächeln auf den Lippen, zog Bernikoff automatisch seinen Hut noch tiefer in die Stirn. Als fürchte er, jemand könnte die Ähnlichkeit entdecken; zwischen ihm und dem Großen Furioso, der vom Plakat herab hinter ihm herstarrte.
    Bernikoff schaute sich um. Die Straße war menschenleer. Er stemmte das Tor zum Durchgang in den Hinterhof auf. Trümmer rieselten vom Türsturz, klackerten zu Boden.
    Bernikoff eilte weiter, kroch über die Trümmerberge aus Backsteinen und gelangte schließlich in den von vier Seiten umschlossenen Innenhof des Gebäudes. Sein Arm schmerzte. Er musste sich vorsehen. Bernikoff öffnete eine Abdeckplatte und tauchte durch den Notausstieg in den Untergrund der Stadt ein. Ein letzter Blick noch zum Himmel. Er hörte das Herannahen der feindlichen Flieger. Sie kamen von Norden. Briten. Einen Moment
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