Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erst mal bis zur nächsten Kuh...

Erst mal bis zur nächsten Kuh...

Titel: Erst mal bis zur nächsten Kuh...
Autoren: Jürgen Barth
Vom Netzwerk:
Wahrheit!“
    Bei Kilometerstein 23 spreche in den
ganzen 23. Psalm vor mich hin, immer wieder, einen ganzen Kilometer weit:
    „Der
Herr ist mein Hirte ..."
    Psalm 19:
    „Die
Himmel erzählen die Ehre Gottes,
    und die
Feste verkündigt seiner Hände Werk.“
    Die Sonne geht unter. Ich will den
Monte do Gozo erreichen am Rande von Santiago, 800 Betten soll es dort geben,
wenn nicht schon alles geschlossen ist bei meiner Ankunft. „ Dónde está el Monte do Gozo?“, frage ich zwei Frauen, die
mir begegnen. Wo ist der Monte do Gozo, der „Berg der Freude“, für müde
Wanderer, Freudenberg, weil man von dort aus endlich das Ziel, Santiago, sehen
kann? Die Frauen schauen mich ein wenig ratlos an. So spät noch unterwegs?
Diese Richtung, zeigen sie, aber es sind noch über fünf Kilometer. Egal, jetzt
eben weiter, jetzt keine Unterbrechung mehr.
    Es ist viertel nach zehn Uhr abends,
als ich endlich am Berg der Freude ankomme. Am Monte do Gozo ist keineswegs
schon Ruhestunde. Gitarrengeklimpere , fröhliches
Lachen, viele Leute. Ich Überschläge die heute gelaufenen Kilometer. Es sind
dreiundsechzig.

Santiago
     
    Ein Gefühl von Stolz, von Freude, auch
von ungläubigem Staunen erfüllt mich. Ich habe es geschafft! 2195 Kilometer zu
Fuß. Ich sitze auf einem großen weiten Platz vor der Kathedrale von Santiago
und kann es im Grunde nicht begreifen.
     
    Ich habe es geschafft! Ich bin aus
eigener Kraft, Schritt für Schritt, hierher gelaufen, fast ein Vierteljahr, Tag
für Tag, manchmal 20 Kilometer, 30, 40, und am Ende, am vorletzten Tag, sogar
63 Kilometer an einem Tag. Ich habe den Weg „gefunden“. Ich habe mich
durchgefragt, habe geredet, ohne die fremden Sprachen wirklich zu beherrschen.
Jeder Tag ein neuer Anfang, ein neuer Aufbruch. Jeden Tag habe ich in einem
anderen Bett geschlafen. Mit wie vielen Menschen habe ich gesprochen auf dem
Weg! Eigentlich ist das alles keine besondere Leistung. Jeder könnte sich auf
den Weg machen. Aber ich bin den Weg gegangen. Ich habe es nicht verschoben auf
den St. Nimmerleinstag. Ich hatte den Traum. Ich wollte den Weg gehen. Und ich
bin ihn gegangen Ich habe nicht aufgegeben, obwohl mir manchmal danach war. Ich
habe es geschafft.
     
    Es war nicht immer einfach. Nicht dass
die körperliche Anstrengung so groß gewesen wäre. Nein, jeder, der laufen kann,
könnte den Weg gehen, wenn er die Zeit investieren würde. Schwer war etwas
anderes: die Einsamkeit manchmal und die Länge des Weges.
     
    Manchmal war ich sehr allein. Ich
wollte allein gehen. Aber ich habe gespürt: Ich brauche die anderen Menschen.
Allein bin ich nichts. Ich brauche ein Wort, jemanden, der mir manchmal zuhört,
der mich ansieht, der mit mir spricht. Und dann die endlos lange Strecke, die Vorstellung,
in einem Monat bist du immer noch unterwegs, das hat mich hin und wieder in
einen inneren Abgrund gestürzt. Ich habe versucht, mir darüber hinwegzuhelfen,
indem ich mir immer erst mal ein kleines Ziel gesteckt habe. Ich gehe erst mal
bis zur nächsten Kuh! Und dann wird man sehen. Step by step , Schritt für Schritt. So ging es. Ich habe es
geschafft.
     
    Um 12 Uhr ist die Pilgermesse wie an
jedem Tag. Die Kathedrale ist voller Menschen. Als der Weihrauchkessel durch
die Kirche geschwungen wird und alles aufsteht, viele ihre Fotoapparate zücken,
bin ich zu meinem eigenen Erstaunen zu Tränen gerührt. Ich kann es nicht
fassen. In Santiago treffe ich sie wieder, die Jakobspilger von unterwegs,
nicht alle, aber immer wieder ein paar bekannte Gesichter.
     
    Es ist ein freudiges Wiedersehen, es
werden Adressen ausgetauscht. Per wartet auf mich („ drinking coffee “) mit seinem Fotoapparat im Anschlag: Er will
mich fotografieren, wenn ich ankomme („ waiting for Jürgen with my photo “). An der Ampel winkt
mir Frédéric aus Frankreich zu, den ich vor 1000 Kilometer in Lectoure beim
Abendessen getroffen habe. Axel taucht plötzlich auf, den ich ebenfalls
wochenlang nicht gesehen habe. Und Andre, mit dem ich mich nur auf Französisch
verständigen konnte auf dem Weg (und das bei meinem Französisch!), möchte noch
ein Erinnerungsfoto machen in der Kathedrale - mit mir in der Kirchenbank. Es
kommt mir vor, als ob ich in dieser fremden Stadt auf einmal viele Freunde
habe.

Pilgerurkunde
     
    Im Pilgerbüro reihe ich mich in die
lange Schlange der Pilger ein und warte, bis ich an der Reihe bin. Ich zeige
zum letzten Mal meinen selbstgebastelten Pilgerpass. Durch die vielen Stempel
darin ist er nun
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher