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Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)

Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)

Titel: Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)
Autoren: Patricia Highsmith
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    Tom schlich über das Parkett in sein Badezimmer, blieb stehen und horchte: Sss-sss---ss-ss----sss-sss. Die eifrigen kleinen Biester waren schon wieder am Werk, dabei konnte er noch das Xylamon riechen, das er am Nachmittag mühsam in jedes ihrer Schlupflöcher (oder was immer die waren) gespritzt hatte. Sie sägten immer weiter, als sei seine Mühe vergebens gewesen. Ein Blick auf ein gefaltetes rosa Handtuch unter einem Holzregal zeigte ihm, schon wieder, ein winziges Häufchen feinsten Sägemehls.
    »Ruhe!« Tom schlug mit der Faust gegen den Schrank.
    Sie verstummten tatsächlich. Stille. Tom sah die kleinen Mistviecher vor sich, wie sie innehielten, die Sägen in den Händchen, und einander sorgenvolle Blicke zuwarfen, aber womöglich auch nickten, als wollten sie sagen: »Das kennen wir schon. Ist wieder mal unser Herr und Gebieter, aber der verschwindet bald.« Auch Tom kannte das schon: Wenn er nicht betont leise ins Bad ging und nicht einmal an Holzameisen dachte, konnte er sie manchmal emsig nagen hören, bevor sie ihn bemerkten – doch wenn er nur einen weiteren Schritt tat oder den Wasserhahn aufdrehte, verstummten sie für eine Weile.
    Héloïse fand, er nehme das alles zu ernst. »Die brauchen doch Jahre, bis der Schrank in sich zusammenfällt!«
    Aber Tom gefiel es gar nicht, daß ihn die Ameisen besiegt hatten, daß er jedesmal, wenn er einen frisch gewaschenen, ordentlich gefalteten Pyjama aus dem Regal nahm, ihr Sägemehl wegpusten mußte, daß er umsonst ein französisches Mittel namens Xylophène (beschönigend für Kerosin) gekauft und ins Holz gespritzt und erfolglos in seinen beiden Konversationslexika nachgeschlagen hatte: Camponotus nagt Gänge ins Holz und legt dort seinen Bau an. Siehe Campodea: Flügellose, blinde, wurmförmige, lichtscheue Insekten; leben unter Steinen. Tom konnte sich seine Plagegeister nicht als Würmer vorstellen, und unter Steinen lebten sie auch nicht. Gestern hatte er sich eigens aus Fontainebleau das gute alte Xylamon besorgt und seinen Blitzkrieg begonnen. Heute war der zweite Angriffstag, und noch immer hatte er sie nicht besiegt. Allerdings war es auch schwierig, das Pestizid nach oben zu spritzen; weil die Löcher auf der Unterseite der Regalbretter lagen, ging es aber nicht anders.
    Das Ss-ss-ss setzte genau in dem Moment wieder ein, als unten im Wohnzimmer, wo Schwanensee auflag, die Musik anmutig in einen eleganten Walzer überging – so als verhöhne sie ihn, genau wie die Ameisen.
    Na gut, gib’s auf, sagte sich Tom, wenigstens für heute. Eigentlich hatte er diesen Tag ebenso gut nutzen wollen wie den gestrigen – er hatte den Schreibtisch aufgeräumt, alte Zeitungen weggeworfen, das Gewächshaus ausgefegt und Geschäftsbriefe geschrieben, darunter einen wichtigen an Jeff Constants Londoner Privatadresse. Diesen Brief, den er Jeff sofort zu vernichten bat, hatte Tom bis gestern immer wieder aufgeschoben. Er riet Jeff darin strikt von weiteren »Entdeckungen« gefälschter Bilder oder Zeichnungen Derwatts ab und stellte die rhetorische Frage, ob denn die Gewinne aus der nach wie vor florierenden Firma für Künstlerbedarf und aus der Kunstakademie in Perugia nicht reichten. Die beiden Teilhaber und Betreiber der Galerie Buckmaster, der Journalist Edmund Banbury und insbesondere Jeff Constant, ursprünglich von Beruf Fotograf, hatten mit der Idee gespielt, weitere mißlungene Bilder Bernard Tufts’ zu verkaufen – weniger überzeugende Derwatt-Fälschungen also. Bislang war alles gutgegangen, doch nun wollte Tom, daß sie damit aufhörten, der Sicherheit halber.
    Er beschloß, spazierenzugehen und in Georges’ Bar einen Kaffee zu trinken, um auf andere Gedanken zu kommen. Erst halb zehn: Héloïse war im Wohnzimmer, sie unterhielt sich auf französisch mit ihrer Freundin. Noëlle war verheiratet und lebte in Paris. Sie würde über Nacht bleiben, allerdings ohne ihren Mann.
    »Succès, chéri?« fragte Héloïse gutgelaunt und setzte sich auf dem gelben Sofa auf.
    Tom rang sich ein Lachen ab. »Non!« Er fuhr auf französisch fort: »Ich gebe mich geschlagen. Die Holzameisen haben mich besiegt.«
    »Aaah«, seufzte Noëlle mitfühlend. Gleich darauf lachte sie glucksend. Sicher war sie in Gedanken woanders und wollte lieber mit Héloïse weiterreden. Die beiden planten für Ende September oder Anfang Oktober eine Abenteuerkreuzfahrt, in die Antarktis vielleicht, und wollten, daß er mitkam. Noëlles Mann hatte bereits abgelehnt, aus
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