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Endstation Nippes

Titel: Endstation Nippes
Autoren: Ingrid Strobl
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ich ratzfatz wieder weg gewesen.
    »Aber, wie gesagt«, riss mich die B.O.J.E. -Frau aus meinen Überlegungen, »so Kleine kommen kaum je zu uns. Die werden vorher abgegriffen, von der Polizei oder dem Ordnungsamt. Oder«, fügte sie traurig hinzu, »von Freiern. Die wissen genau, wo sie die Kids finden. Die gehen ganz gezielt in die Kaufhäuser, wo die an den Spielkonsolen stehen.«
    »Scheiße!« war alles, was mir einfiel.
    Sie nickte.
    Draußen stand schon ein Pulk Jungs und Mädels und wartete auf Einlass. Ich überquerte den Platz und stellte mich an eine der normalen Bushaltestellen. Ich hatte noch circa zehn Minuten, bis wir weitermachten, und selbst wenn ich zu spät kam, würde das meinem geschätzten Regisseur sicher nichts ausmachen. Die Kids, die in den Bus einstiegen, sahen zum Teil ziemlich kaputt aus, man sah ihnen an, dass sie nichts und niemanden hatten. Einige Jungs wirkten rausgeputzt und supercool, das waren wohl die erfolgreicheren Stricher. Die Mädchen trugen bauchfreie Tops, Minis, Jeans, Stiefelchen, Turnschuhe, sie hätten genauso gut vor einer Hauptschule oder einer Disco rumstehen können. Eine war dabei, die sah aus wie ein Junge, schwarze Jeans, Piercings in Nase, Ohren und Unterlippe, Baseballmütze und, obwohl es auch heute wieder tropisch heiß war, ein Kapuzenshirt um die Schultern. Ich musste über mich selber lacjen, als ich merkte, dass ich mich mit ihr identifizierte. So würde ich auch aussehen, wenn ich heute dreizehn wäre, dachte ich. Und plötzlich wurde mir bewusst: Das Mädchen war höchstens dreizehn.
    Meine Mittagspause war rum, der Bus nach Belgrad abgefahren, der Bahnsteig wieder leer, und ich starrte immer noch auf den B.O.J.E. -Bus. Warum, das war mir selber nicht ganz klar. Irgendetwas nagelte mich hier fest. Und plötzlich sah ich ihn. Er stand in der Unterführung, im Schatten des Bahnbogens, hinter dem Radweg. Ich konnte ihn kaum erkennen, wusste aber trotzdem mit tausendprozentiger Sicherheit, dass er es war: »mein Junge«. Ich schlenderte, unauffällig, wie ich hoffte, über die Bahnsteige in Richtung Unterführung. In dem Moment kam das Mädchen aus dem Bus und ging auf den Jungen zu. Sie standen eng beieinander und sahen sich um. Ich tat es ihnen gleich, konnte aber weder Polizisten noch Ordnungsamtler entdecken. Dafür kam ein junger Mann auf mich zu und schnorrte mich um eine Kippe an. Ich gab ihm zwei und Feuer, und als ich wieder rüber zur Unterführung sah, waren das Mädchen und der Junge verschwunden.
    Ich fluchte vor mich hin und machte mich auf den Weg zurück ins Funkhaus. Mr. Regisseur empfing mich mit dem Satz: »Da müssen Sie jetzt aber einiges kürzen. Können Sie kürzen?«
    »Ich machen kurz, alles. Ich schneiden Seite ab. Okay?« Ich konnte es mir nicht verkneifen.
    Er starrte mich an, als wollte er mich gleich zwangseinweisen lassen.
    »Um wie viel sind wir zu lang?«, fragte ich, nun doch wieder sachlich. Dafür aber sehr kühl.
    »So um die zweieinhalb Minuten«, antwortete die Technikerin, obwohl das nicht in ihren Kompetenzbereich gehörte. Ich ahnte, dass sie den Herrn ungefähr genauso schätzte wie ich.
    Er warf ihr einen bösen Blick zu und knurrte: »Es darf auch etwas mehr sein.«
    Ich bin eine große Kürzerin vor dem Herrn. Wobei ich meistens genau auf Zeit schreibe. Aber wenn ich doch mal zu lang geworden bin, dann weiß ich sofort, was ich rauschmeißen kann.
    »Gucken Sie mal«, sprach ich also Richtung Regiesessel. Ich hatte mich weiter hinten an den Tisch gesetzt, da konnte ich mein Manuskript besser ausbreiten. Er drehte den Kopf in meine Richtung. »Die Kürzungen«, sagte ich.
    Er rührte sich nicht vom Fleck. Ich mich auch nicht.
    »Na, dann lassen Sie mal sehen.« Meister erlaubt Lehrling, ihm sein Probestück zu zeigen. Aber mit mir nicht.
    Ich lächelte ihm zu und deutete auf mein Manuskript. »Hier.«
    Es war ein kleiner, aber heftiger Machtkampf. Aus irgendwelchen Gründen gab er nach. Kam zu mir nach hinten. Ich zeigte ihm die betreffenden Stellen. Er notierte sie in seinem Manuskript, ging wieder zu seinem Sessel am Schnittplatz und gab der Technikerin die entsprechenden Anweisungen. Danach erlaubte er mir huldvoll, ihm die zwei CD s zu geben, die ich mitgebracht hatte. Vorher hatte er erklärt, er habe ein fertiges Musikkonzept. Ich fand das Ganze inzwischen nur noch komisch. Und war erleichtert, dass die Luft raus war. Man konnte in dem Raum langsam wieder atmen.
    Um fünf waren wir so gut wie fertig, und
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