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Endstation Nippes

Titel: Endstation Nippes
Autoren: Ingrid Strobl
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Therapie, sobald ich darf. Und irgendwann kriegst du dann auch die Telefonerlaubnis, und dann ruf ich regelmäßig an. Okay? Du schaffst das. Du hast das Zeug dazu. Und es ist überhaupt nicht spießig, wenn man nicht drauf ist. Guck mich an! Bin ich spießig?«
    Mein Versuch, sie zum Lachen zu bringen, ging voll daneben. »Ja, du!«, fauchte sie. »Du hast ‘nen supercoolen Beruf. Wenn ich Radiosendungen machen könnte, dann wüsste ich auch, für was ich lebe. Und du hast den Stefan. Ich hab niemanden.«
    »Du hast Hertha und mich«, wandte ich ein. »Und eine Berufsausbildung kannst du noch machen.«
    »Ja, klar, und dann krieg ich die super Stelle mit meinen Vorstrafen und als Ex-Junkie. Da will mich jeder haben, keine Frage.«
    »Gut«, sagte ich, »dann lass es. Sag den Therapieplatz ab. ‘ne andere ist bestimmt froh, wenn sie ihn kriegt.«
    Ich war erschöpft und genervt von der Produktion, und wir hatten dieses Thema schon zum Erbrechen durchgekaut. Ihre Ängste und Einwände waren durchaus berechtigt, aber ich konnte sie nicht mehr hören. Und es brachte sie nicht weiter. Es gibt Ex-Junkies, die jetzt einen interessanten Job haben. Und eine – cleane – Beziehung. Und wenn Nele besser drauf war, wusste sie das auch und gab sich selbst eine Chance. Nur, je näher der Entgiftungstermin rückte, desto schwärzer sah sie ihre Zukunft in einem nüchternen Leben.
    »Wenn du clean bist, kommen die ganzen Gefühle wieder«, sagte sie leise. »Das geht schon in der Entgiftung los.«
    Ich konnte bloß nicken. Das ist das Schlimmste, wenn man aufhört, sich zu betäuben. Das Schmerzhafteste. Und da geht kein Weg dran vorbei. Ich stand auf und nahm sie in den Arm.
    »Du kriegst das hin, Süße«, flüsterte ich ihr in die Haare, »ich weiß das.«
    Rosa sprang auf Neles Schoß und fing an zu schnurren. Und schaffte, was mir nicht gelungen war: Sie brachte sie zum Lächeln. Nele kraulte Rosa hinter den Ohren und erzählte ihr, wie doof die Katja doch sei, die gebe ja einen solchen Scheiß von sich, das könne sich keiner anhören. Rosa rülpste.
    »Hör auf, meine Katze aufzuhetzen!«, schimpfte ich, »die glaubt das noch!«
    »Soll sie auch!«, gab Nele zurück. Und machte dann den sensationellen Vorschlag, spazieren zu gehen. Nele bewegt sich möglichst wenig, und Spaziergänge hält sie für eine meiner abgedrehtesten Macken. Ich ließ mich nicht bitten. Ein bisschen Bewegung würde mir guttun, ich hatte schließlich den ganzen Tag nur rumgesessen.
    Wir überquerten den Schillplatz, liefen die Mauenheimer hoch bis zum Nippeser Tälchen und gingen in den Park. Wenn man das als Park bezeichnen kann. Auf dem Kinderspielplatz tobte das Leben, Spaziergänger waren unterwegs, und auf einer der Bänke saßen drei türkische Jungs und verbreiteten einen wohltuenden Duft nach Gras. Auf der nächsten Bank saßen zwei Kids, ein Junge und ein Mädchen, die miteinander tuschelten. Das Mädchen kam mir irgendwie bekannt vor. Und dann machte es klick: Es war die Kleine, die aus dem B.O.J.E. -Bus gekommen und zu »meinem Jungen« gegangen war! Ich blieb ich abrupt stehen. Nele ging weiter und rief: »Ey, Chantal!«
    Das Mädchen sah erschrocken hoch, sprungbereit. Dann entspannte es sich. »Hi, Nele!«
    Ich starrte mit offenem Mund von der einen zur anderen. Der Junge hatte mich inzwischen erkannt und verstand genauso wenig. Das Mädchen stand auf und kam auf uns zu. Nele umarmte es und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Der Junge blieb sitzen und hielt sich mit beiden Händen an der Bank fest.
    »Das ist die Katja«, sagte Nele zu dem Mädchen und wies auf mich, »meine Freundin.« Dann wandte sie sich an den Jungen. »Mensch, Marco, du bist ja richtig groß geworden!«
    Chantal musterte mich misstrauisch.
    Ich sagte höflich: »Hi, Chantal.«
    »Bist du auch ‘n Junkie?«, erwiderte sie.
    »Nö«, antwortete Nele an meiner Stelle. »Und ich geh übernächste Woche in die Entgiftung. Nach Düren.«
    »Die Mama war auch in Düren.« Wieder diese Stimme und der Blick, die mir das Herz zerrissen.
    »Hallo, Marco«, sagte ich.
    »Hi.«
    »Wolltest du das Brötchen für die Chantal?«, fragte ich.
    »Mhm.«
    »War die das?«, mischte sich das Mädchen ein.
    »Mhm.«
    »Ey, war das der Marco, der Junge aufm Bahnhof?«, ging nun Nele dazwischen. Sie sah Chantal aufmerksam an. »Bist du wieder abgehauen?«
    »Und wenn?«
    »Und er auch?«
    »Und wenn?«
    »Wo pennt ihr denn?«
    »Geht dich das was an?«
    »Ey, zick nich rum. Ist
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