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Endstation Nippes

Titel: Endstation Nippes
Autoren: Ingrid Strobl
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Bea wollte mir eh nix geben, aber die war schon so zu … na ja.«
    Wäre ich jetzt Drogentherapeutin oder wäre Nele bei mir im ambulant betreuten Wohnen, dann hätte ich vermutlich gefragt: »Was stimmt nicht bei dir, dass du einen Rückfall bauen musstest?« Oder so die Richtung. Aber Nele ist meine Freundin. Also beschränkte ich mich erst mal auf: »Hat das jetzt irgendwelche Folgen?«
    »Nö, kann ja nich, wegen einem Mal!«
    »Und? Bleibt’s dabei? Bei einem Mal?«
    Nele verdrehte genervt die Augen. »Katja, ich ärger mich doch selber am meisten über mich. Ich hab’s jetzt so lange geschafft, und ich will in die Therapie. Das weißte doch!«
    Ich stellte die Espressotassen und den Zucker auf den Tisch.
    »Außerdem«, ließ sich Nele wieder vernehmen, »bringt das Blowen sowieso nix, wenn du auf Metha bist. Da musste dir schon ‘n Druck machen, wenn du was spüren willst.«
    Nele hatte bereits einen Termin für die Entgiftung. Und einen für die Langzeittherapie direkt im Anschluss. Hertha, meiner alten Nachbarin, bei der Nele zur Untermiete wohnt, graute schon jetzt davor. Die beiden hatten sich mehr oder weniger aus dem Stand angefreundet, und Nele hilft Hertha bei allem, was sie nicht mehr so gut kann. Schwere Einkäufe schleppen zum Beispiel oder Gardinen abnehmen und wieder aufhängen. Und den ganzen Tag allein vor der Glotze sitzen.
    Wir tranken schweigend unseren Espresso.
    »Nach der Therapie isses bestimmt leichter«, murmelte Nele und steckte sich eine von meinen Zigaretten an. »Da such ich mir ‘n Job und hab was zu tun. Wenn man den ganzen Tag bloß rumhängt …«
    Ganz so stimmte das nicht. Nele hatte mir zum Beispiel meine Interviews abgetippt, als ich eine ziemlich gemeine Sehnenscheidenentzündung gehabt hatte. Und die Interviews, die ich mache, sind nicht gerade kurz.
    »Süße, ich muss jetzt los«, sagte ich und stand auf. »Ich muss zu ‘nem Interview.«

ZWEI
    Die Frau wollte sich am Bahnhof mit mir treffen. Warum auch immer. Ich hatte ihr gesagt, dass ich da keine Aufnahmen machen kann wegen der Nebengeräusche, aber sie hatte darauf bestanden. Insgeheim hoffte ich, ich könnte sie überreden, mit in den Sender zu kommen. Und meine Redakteurin überreden, dass sie mir einen ruhigen Raum organisierte. Manchmal muss man in meinem Beruf improvisieren. Ich stand mir vor dem Info-Point die Beine in den Hintern, in der Hand ein Stück Pappe, auf das ich WDR gemalt hatte. Kam mir so blöd vor wie schon lange nicht mehr.
    Nach einer halben Stunde gab ich auf. Bog in die Fressmeile ein und stellte mich an einem der Brötchenstände in die Schlange. Ein Junge stellte sich neben mich. Höchstens zehn, einen Schmutzfleck auf der Wange, ungewaschenes Haar und etwas Verstörtes an sich. Er blieb an meiner Seite, während ich langsam aufrückte. Als ich dran war, sagte er so leise, dass ich ihn kaum verstand: »Kaufst du mir was zu essen?«
    Ich sah in graugrüne Augen. Tote Augen. Ich hatte ein Gefühl, als würden sich meine Haare alle einzeln aufstellen.
    »Was willste denn?«
    Er deutete auf die belegten Ciabattas.
    »Käse oder Wurst?«
    »Wurst.« Und nach einem Moment des Schweigens: »Kann ich zwei haben?«
    Ich kaufte ihm zwei und mir eines mit Käse. »Cola?«
    Er nickte stumm. Ich reichte ihm die Brote und die Dose.
    »Danke.«
    Er verschwand, ohne mich noch einmal anzusehen.
    Ich bezahlte und ging zurück in die Haupthalle. Schaute mich in alle Richtungen um. Konnte ihn nirgends entdecken. War mir aber hundertprozentig sicher: Mit dem Jungen stimmte etwas nicht. Und zwar ganz und gar nicht.
    Zu Hause verschlang ich erst einmal das Ciabatta, dann fragte ich den Anrufbeantworter ab. Nichts. Rief meine Mails auf: Eine von Amazon, eine von Ryanair und sieben von der WDR -Freien-Mailingliste. Kein Wunder, es war Sommer. Sogar der Spam-Ordner war halb leer. Bis auf ein paar Workaholics und uns freie Journalisten, die wir uns keinen Urlaub leisten konnten, lag tout le monde an irgendeinem Strand oder wanderte über Almwiesen oder weiß der Geier was. Ich löschte alle Mails ungelesen und schrieb eine kleine unanständige Message an meinen Liebsten. Der muss nämlich auch im Sommer arbeiten. Die Junkies beziehungsweise Methadon-Substituierten, die er betreut, verreisen nicht in die Sommerfrische. Noch nicht mal nach Malle.
    Ich machte mir einen Tee, schnitt Rosa frische Leber auf und schwor mir, das im Sommer nie, nie, nie mehr wieder zu tun. Den Geruch von Eingeweiden ertrage ich schon an
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