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Endstation Nippes

Titel: Endstation Nippes
Autoren: Ingrid Strobl
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doch scheiße auf Platte.«
    »Wir machen nicht Platte.«
    »Sondern?«
    »Wir sind bei ‘nem Bekannten.«
    »Was für ‘nem Bekannten?«, blaffte Nele. Voll alarmiert. Ich war es auch.
    »Geht dich nix an.«
    »Hörma«, Nele beugte sich vor und packte Chantals Arm, »wenn ihr bei ‘nem Freier pennt …«
    »Ich geh nicht anschaffen!« Aus Chantals Augen blitzten Wut und verletzter Stolz.
    »Hotte-Opa«, ließ Marco sich plötzlich vernehmen.
    »Das geht die nix an!«, zischte Chantal.
    »Ich dachte, der is im Knast.« Nele wieder.
    Ich stand stumm daneben und wartete geduldig, dass irgendjemand mir irgendetwas erklärte.
    »Der is doch ewig wieder raus!« Chantal sah Nele empört an. Was die nicht weiter beeindruckte.
    »Und bei dem wohnt ihr?«
    »Nö.«
    »Ja, was jetzt?«
    »Wir dürfen bei dem schlafen«, flüsterte Marco. »Aber wir dürfen da nur nachts hin, damit die andern im Haus das nicht mitbekommen.« Er wirkte plötzlich lebendig, seine Augen strahlten, er sah aus wie ein ganz normaler Junge, der sich über ein Abenteuer freut.
    »Und was macht ihr tagsüber?«, mischte ich mich nun ein, ermutigt durch sein Vertrauen.
    Chantal sah mich böse an. »Wieso will die das wissen?«, fragte sie in Richtung Nele.
    »Ich will das auch wissen.«
    »Wieso?«
    »Mensch, Chantal, du nervst, echt! Wenn so zwei Picos sich auf der Straße rumtreiben, da macht man sich Sorgen. Verstehste das nicht?«
    »Um uns macht sich keiner Sorgen.«
    »Ja, hätteste gern. Ich mach mir aber welche und die Katja auch.« Sie holte ihren Tabak raus und fing an, sich eine Zigarette zu drehen.
    Chantal streckte die Hand aus. »Krieg ich auch eine?«
    »Nö.«
    »Fick dich!«
    Nele wandte sich theatralisch zu mir um und stöhnte: »Nö, was is der Panz missraten! Hast du das gehört!«
    Ich musste lachen. Marco kicherte. Chantal guckte noch böser.
    »Wennde weiter so vor dich hin stierst, kriegste jetzt schon Falten.«
    Marco gluckste. Chantal warf ihm einen wütenden Blick zu.
    Nele zündete ihre Zigarette an, nahm einen Zug und reichte sie dann an Chantal weiter. »Hör mir mal zu«, sagte sie, um einiges sanfter. »Wie ich von zu Hause weggelaufen bin, da hat sich kein Schwein drum gekümmert. Und wie ich ausm Heim abgehauen bin, da haben die bloß nach mir gesucht, weil die das mussten. Weil ich minderjährig war. Aber deine Mama war ‘ne Freundin von mir. Und dich kenn ich, seit’s dich gibt. Und dem Marco hab ich schon den Po abgewischt. Und jetzt mach ich mir Sorgen um euch. Capito?«
    Chantal nahm noch einen Zug von der Zigarette und gab sie Nele dann zurück. »Der Marco musste weg. Da, wo er war. Und ich kann den ja nich alleine lassen, oder? Also bin ich auch weg.«
    »Ausm Heim?«
    »Mhm.«
    »Und er?«
    »Keine Ahnung.«
    »Wie, keine Ahnung?«
    »Ja, frag du ihn. Mir sagt er nix.«
    Marcos Gesicht hatte sich wieder verschlossen. Die Augen wie blind. Er biss sich auf die Unterlippe.
    Nele ging in die Hocke und war nun auf Augenhöhe mit ihm. »Warste in Pflege?«
    Schweigen.
    »Oder in ‘nem Heim?«
    Das Kind wirkte so gestresst und panisch, dass es mich erbarmte. Ich ging gleichfalls in die Hocke und nahm Marco in den Arm. Er ließ es geschehen, machte sich aber noch steifer.
    »Hör mal«, sagte ich und streichelte ihm vorsichtig die Wange, »du musst uns nichts erzählen. Wir möchten dir nur helfen. Ich geb euch jetzt die Adresse, wo wir wohnen, die Nele und ich, ja? Und meine Telefonnummer, weil die Nele ja bald nach Düren und dann in Therapie geht. Und wenn ihr was braucht, wenn ihr Hilfe braucht, dann meldet ihr euch. Okay? Und wenn dir jemand wehgetan hat, dann musst du nicht zurück. Ich kenne Leute, die können dich woanders unterbringen. Wo du es gut hast.«
    Marcos Körper, der sich in meinen Armen ein wenig entspannt hatte, verkrampfte sich wieder vollständig. Ich musste rauskriegen, was mit dem Kind passiert war.
    Ich ließ ihn los und richtete mich auf. Nele hatte ihre Handtasche dabei, ohne die sie sich keinen Schritt weit bewegt, und darin fand sie schließlich einen Bierdeckel. Sie brach ihn in der Mitte durch und schrieb auf beide Hälften unsere Adresse und meine Mobilnummer. Eine Hälfte gab sie Marco, die andere Chantal. Ich inspizierte meine Geldbörse, verdrängte meinen Kontostand und drückte Chantal zwanzig Euro in die Hand. Man sah ihr an, dass sie sich nicht entscheiden konnte zwischen Misstrauen und Erleichterung. Ich wusste, sie durfte ich nicht in den Arm nehmen, aber ich musste mich
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