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Endstation Nippes

Titel: Endstation Nippes
Autoren: Ingrid Strobl
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auch nicht gerade.
    Zu Hause rief ich Stefan an. Ich wollte ihm von Frau Grimme erzählen, aber er wimmelte mich ab, er musste zur Supervision und schlug vor, danach zu telefonieren. Da wollte ich aber schon im Bett sein. »Dann sehen wir uns morgen Abend?«, fragte er. Erst sagte ich automatisch ja, dann fiel mir ein, dass ich mit Gitta verabredet war. Ich hätte heulen können. Irgendwie klappte gerade gar nichts.
    Ich klingelte bei Hertha, und als sie öffnete, duftete es verführerisch nach Sauerkraut.
    »Komm rein«, sagte sie, »wir sind gerade am Essen.« Es geht nichts über eine Nachbarin, die auch noch eine Freundin ist. Hertha holte mir Besteck und einen Teller, Nele häufte mir eine Riesenportion Kraut drauf. Da ich kein Fleisch esse, bekomme ich grundsätzlich mehr von den Beilagen. Hertha hielt mir den Brotkorb hin. »Bierchen?« Ich nickte dankbar. Stellte erleichtert fest, dass Nele so klar wirkte, wie man es auf Methadon nur sein kann. Sie hatte also nichts anderes intus. Dafür gönnte sie sich ein Kölsch. Warum nicht, dachte ich, nach der Therapie ist auch damit erst mal Sense.
    Ich berichtete den beiden von Frau Grimme. Plötzlich bemerkte ich, dass ich ihren Oberschichttonfall nachäffte und schämte mich. Die Ladys schien es nicht zu stören, ganz im Gegenteil. Nele nickte, und Hertha zwinkerte mir zu.
    »Nö«, wehrte ich ab, »das war jetzt echt fies. Die macht sich wirklich Sorgen um das Mädchen, und sie kann ja nichts dafür, dass sie so ist, wie sie ist.«
    »Tja, fragt sich bloß, ob so Kids sich echt wohl fühlen bei so ‘ner Dame«, konterte Hertha.
    »Na ja, dieses Mädchen scheinbar schon«, erwiderte ich.
    »Sagt sie!«, konterte Nele.
    »Man weiß ja nich, wo die Pänz herkommen, die die hat«, meldete sich jetzt Hertha wieder, »aber garantiert nich aus Marienburg. Was die da mit ihren Blagen anstellen, das kriegt ja keiner mit. Da musste nich meinen, dass da so ‘n Jugendamtsheini vor der Tür steht.« Sie stach so heftig mit der Gabel in das Kraut, dass sie über den Teller schrappte. »Und dann kommt der Panz in so ‘ne Villa. Und die reden alle so komisch. Und dann wollen die, dass der anfängt, auch so komisch zu reden.« Sie selbst redete sich gerade in Rage.
    »Ich weiß doch gar nicht, ob die in ‘ner Villa wohnt«, versuchte ich zu beschwichtigen. Vergebliche Liebesmüh. Hertha hatte einen Sohn. Den hatte ihr die Fürsorge, wie das damals noch hieß, weggenommen. Weil ein Kind nicht bei einer Prostituierten aufwachsen durfte. Der Junge war zu einer Pflegefamilie gekommen. Und seither hatte Hertha ihn nur noch einmal gesehen: An dem Tag, als er auftauchte, um ihr – in lupenreinem Hochdeutsch – zu sagen: »Ich wollte bloß mal sehen, wer die Frau ist, die mich im Stich gelassen hat.« Es ist also nicht weiter erstaunlich, dass Hertha zu Pflegeeltern kein sonderlich positives Verhältnis hat.
    Aber jetzt gab plötzlich Nele zu bedenken, dass Leute, die in Marienburg wohnten, wohl eher keine Pflegekinder aufnahmen. Und dass die Pflegeeltern von Jessica schließlich echt klasse seien. Daraufhin nahm ich mir ein Herz und stellte endlich die Frage, vor der ich mich die ganze Zeit gedrückt hatte:
    »Sag mal, Nele, meinste, ich könnte die Pflegemutter von der Jessie interviewen? Ich brauch noch eine, die da Erfahrung hat und gut mit den Kids umgeht.«
    Nele wich meinem Blick aus. »Ich weiß nicht, ob ich die das fragen kann.«
    »Wenn das Stress für dich ist, dann tu’s nicht. Ich find schon jemanden«, beteuerte ich und bereute bereits, dass ich das Thema angeschnitten hatte.
    »Nö, lass ma. Ich muss die eh anrufen. Ich mein, ich muss da ja noch mal hin vor der Therapie. Die Jessie sehen.« Sie nahm einen langen Schluck aus der Flasche und zündete sich eine von meinen Kippen an. »Dann mach ich das. Also, ich frag die. Ich sag der, das is für ‘n WDR , oder?«

FÜNF
    Nach der Sprachaufnahme flüchtete ich runter auf den Hof, um eine Zigarette zu rauchen. Am liebsten wäre ich nicht mehr zurück in das Studio gegangen. Der Typ war noch schlimmer, als ich befürchtet hatte. Mein Alter oder vielleicht ein bisschen jünger, hübsch und verlebt und einen Ton drauf, als wäre ich die Praktikantin. Wobei ich keine Praktikantin so behandeln würde. Ich werde immer hilflos, wenn jemand sich arrogant verhält. Das war schon auf dem Gymnasium so. Da half auch nicht, dass meine Eltern immer sagten: »Wenn dir einer so kommt, dann hat der das nötig. Da musste nix drauf
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