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Endstation Nippes

Titel: Endstation Nippes
Autoren: Ingrid Strobl
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hatte er mir gesagt, sind Pflegeeltern Leute, die eigentlich lieber ein Kind adoptiert hätten. Und die nehmen dann nur Kinder, die, aller Voraussicht nach, keine größeren Probleme machen. Die schwierigen Kids, schon gar die traumatisierten, die will kaum jemand.
    »Aber das ist doch verständlich«, wandte Gitta ein, als ich ihr von dem Gespräch berichtete. »Traumatisierte Kinder, die sind in einem Ausmaß verstört und eben oft auch verhaltensgestört, da ist jemand, der nicht fachlich dafür ausgebildet ist, einfach überfordert. Und dann wäre er oder sie dem Kind ja auch keine Hilfe.«
    Da konnte ich nicht widersprechen. Trotzdem war ich enttäuscht. Ich hatte gedacht, dass es mehr so Frauen wie Jessicas Pflegemutter gab.
    »Katja?«
    »Ja, entschuldige, ich bin noch dran.«
    »Was hältst du davon, wenn ich morgen Abend bei dir vorbeikomme? Dann hab ich das schwierige Gespräch in Düsseldorf hinter mir, und wir können entweder auf einen Erfolg anstoßen, oder ich heule mich bei dir aus.«
    »Ja, gerne, aber ich hab vermutlich keinen Nerv zu kochen. Tun’s auch Schnittchen? Ich hab nämlich den ganzen Tag Produktion, da krieg ich abends nix mehr gebacken.«
    »Nö«, erwiderte Gitta lachend, »Schnittchen tun’s auf gar keinen Fall! Ich lade dich ein. Und keine Widerrede! Ich hab mehr Geld als du. Möchtest du lieber zu deinem Italiener oder zum Kornbrenner?«
    Wir vereinbarten, dass sie mich zu Hause abholte. Dann könnten wir uns immer noch entscheiden.
    Ich hatte kaum eingehängt, da läutete das Telefon schon wieder. Ich wollte es eigentlich läuten lassen, ich brauchte dringend eine Zigarette, und mein Ohr hätte sich gern abgekühlt. Zum Glück ging ich doch dran. Es war die Pflegemutter. Sie entschuldigte sich, sagte, sie habe in einer schwierigen Situation gesteckt, die sei aber so bald ohnehin nicht zu lösen, und sie würde zu mir kommen, wenn ich das wollte. Ich war völlig überrumpelt. Fragte, wann sie denn könnte, und als sie sagte, es ginge auch jetzt gleich, schlug ich vor, sie im Campi zu treffen. Für ein Vorgespräch. Fakt war, dass ich keine Lust mehr auf sie hatte. Fakt war aber auch, dass ich mir das nicht leisten konnte. Sie war einverstanden.
    Ich steckte mir eine Kippe an und setzte mich mit einem Glas O-Saft ans Küchenfenster. Der Blick auf den Garten beruhigt mich – sofern es mir gelingt, mich auf die Bäume, Blumen und Kräuter zu konzentrieren, die da wild durcheinander wachsen, ohne Plan und Absicht, bis auf die Kräuter. Die haben die Nachbarn vom Parterre gepflanzt, aber wir dürfen uns alle davon bedienen. Als die Zigarette zu Ende war, wurde mir bewusst, dass ich genauso gut auf eine Müllkippe hätte gucken können. Ich hatte rein gar nichts gesehen, stattdessen hatte ich Bilder von der Frau entworfen, die ich gleich treffen würde.
    Sie stand am Eingang und entsprach keinem meiner fiktiven Porträts. »Frau Leichter?«, fragte sie mit einer angenehmen Altstimme.
    »Tag, Frau Grimme«, erwiderte ich artig und streckte die Hand aus.
    Sie hatte ein rundes Gesicht und einen noch etwas runderen Körper, wirkte aber nicht dick. Die langen rotbraunen Haare hatte sie zu einem Zopf geflochten, der ihr über die Schulter hing, sie trug kein Make-up und sah in dem goldbraunen Leinenrock und schilfgrünen T-Shirt so aus, wie ich mir eine Lindenthaler Professorengattin vorstelle.
    Wir setzten uns an einen freien Tisch und bestellten Cappuccino. Vor dem Schuhladen stand ein blasser junger Mann mit einer Geige und spielte etwas, das wie Neue Musik klang. Ein paar Schritte von ihm entfernt versuchte einer der Kölner Uraltjunkies mit der »Von Unge« sein Glück. Die Touristen wichen ihm aus, warfen aber auch dem jungen Virtuosen nichts in den Kaffeebecher. Vermutlich hörten sie lieber Mozart oder »I do it my way«. Oder sie hatten einfach das Urlaubsbudget schon aufgebraucht.
    Sie würde so gern einmal das Funkhaus von innen sehen, sagte gerade meine Pflegemutter, sie höre viel Radio und wollte immer schon wissen, wie eine Sendung entsteht. Sie sprach ein gepflegtes Kölsch, und ich fragte mich erneut, warum ich sie nicht mochte. Als der Kellner die Cappuccinos brachte und sie sich mit so einem reizenden Lächeln bei ihm bedankte, wusste ich plötzlich, warum: Sie erinnerte mich an eine Galeristin, bei der ich mal einen Aushilfsjob angenommen hatte, und ihre Freundinnen, die schon mal »auf ein Schwätzchen, Liebes« vorbeikamen. Und erwarteten, dass ich ihnen den Kaffee
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